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Pablo Iglesias, der 37-jährige Parteichef von Podemos, ist für viele Spanier Hoffnungsträger und neuer linker Politikstar

Foto: EPA / Nacho Gallego

Eine Daunenjacke schützt gegen die Kälte, eine Haube gegen den Wind. Mar Mas (49) macht Wahlkampf für die Antiausteritätspartei Podemos ("Wir können") in der Madrider Innenstadt. Die Kapitänin für Touristenschiffe hat sich einen Monat freigenommen und ist in ihre Heimatstadt gekommen, um für die "Violetten" zu werben. "So etwas passiert nur einmal im Leben", ist sie sich sicher und hofft auf ein gutes Abschneiden der Partei des 37-jährigen Politikprofessors Pablo Iglesias, der einen "Wandel" für Spanien nach vier Jahren Sparpolitik verspricht.

Mas beantwortet Fragen zum Programm, hört zu, wenn Bürger von alltäglichen Sorgen berichten: Arbeitslosigkeit, der Nachwuchs auf Jobsuche im Ausland, teure Stromrechnungen, kein Geld für die fällige Rate des Wohnungskredits. "Die ganze Auswirkung der Krise wird deutlich", erklärt Mas.

Spürbare Krise

Mas selbst weiß, was Krise bedeutet. Sie war TV-Produzentin, machte sich 2002 selbstständig und drehte Dokumentarfilme. "Bis zur Finanzkrise 2007", erzählt sie. Die Bauspekulationsblase platzte, Banken crashten, Spanien schlüpfte unter den Rettungsschirm, die Sparpolitik begann. Die Filmemacherin verlor Abnehmer und musste ihr Unternehmen schließen. Sie legte das Kapitänspatent ab und schippert seither Schiffe durch das Mittelmeer und die Karibik.

Im Mai, als die pensionierte Richterin Manuela Carmena mit der Bürgerliste Ahora Madrid ("Jetzt Madrid") rund um Podemos die Kommunalwahlen gewann, verfolgte Mas die Entwicklung aus der Ferne. "Jetzt wollte ich einfach dabei sein." Immer wieder wirft Mas einen Blick auf ihr Smartphone: "Wir brauchen einen Fahrer, fünf Leute zum Flugblattverteilen ...", lauten die Nachrichten. Als der Wahlkampf vor zwei Wochen begann, hatten sich in der Innenstadt 23 Menschen als Helfer eingeschrieben. Jetzt sind es bereits über 80.

Wenig Geld für Wahlkampf

Anders als die beiden alten Parteien, der regierende, konservative Partido Popular (PP) und der sozialistische PSOE, oder die ebenfalls zum ersten Mal antretende rechtsliberale Ciudadanos ("Bürger") hat Podemos keine Millionenkredite bei den Banken aufgenommen. Ihr Wahlkampf wird über Kleinstkredite der Sympathisanten finanziert. Zwei Millionen Euro sind so zusammengekommen. Das reicht für Material, für Säle, aber nicht für große Plakatwände oder gar für zusätzliche Fernsehwerbung und Anzeigen.

"Ich habe kein Geld gegeben. Ich nutze mein Erspartes, um hier zu sein und zu arbeiten", sagt Mas. Sie plakatiert, fährt den Lieferwagen, baut Bühnen auf. Podemos setzt auch auf soziale Netzwerke, Infostände und tausende Veranstaltungen überall im Land. "Die Straße fragt", heißt es dann. Es kommen Bürger, die einfach ihrem Unmut Luft machen wollen oder von ihren sozialen Nöten reden: "Wählt auf keinen Fall die beiden Altparteien", ruft einer. "Macht was für uns Langzeitarbeitslose, alle haben uns vergessen", sagt eine Frau über 50.

Kommunalpolitischer Neuanfang

In Madrid hat sich viel geändert, seit die Konservativen nach mehr als 20 Jahren das Bürgermeisteramt verloren haben. Bürgermeisterin Carmena hat die Dienstwagen abgeschafft und fährt U-Bahn. Eine neue Dienststelle vermittelt bei drohenden Zwangsräumungen zwischen Betroffenen und Banken. Wer dennoch seine Wohnung verliert, bekommt eine kommunale Unterkunft. Während der Sommerferien werden bedürftige Kinder, die das Jahr über kostenlos an der Schulspeisung teilnehmen, weiterhin versorgt. Der Sozialhaushalt wurde um 24 Prozent aufgestockt. "Wir werden die große Überraschung sein", glaubt Mas. Umfragen machen ihr dabei Hoffnung. Die sozialistische PSOE und die Partei Ciudadanos, die beide ebenfalls den "Wandel" versprechen, verloren zuletzt an Zustimmung, während die Protestpartei zulegen konnte.

Lebensmittel statt Parteien

Seit Montag dürfen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden. So schauen alle auf eine Zeitung im kleinen Nachbarland Andorra, die weiterhin Wähler befragt. Im Internet wurden den Parteien – je nach ihrer Farbe – Symbole zugeteilt, das Ergebnis wird zum Kilopreis angezeigt.

Für die violette Partei Podemos steht die Aubergine. Das Wasser symbolisiert den Partido Popular, die rote Erdbeere die Sozialisten, und die Orange ist die Chiffre für Ciudadanos. Die Aubergine kostet mittlerweile 20,40 Euro. Es fehlt nur ein Euro, um vor den Erdbeeren zum zweitteuersten Produkt zu werden. Allerdings wird Wasser trotz starken Preisverfalls mit 25,80 immer noch am teuersten gehandelt. Orangen sind am billigsten. (Reiner Wandler aus Madrid, 20.12.2015)