Irmgard Griss versteht die Aufregung nicht: Die von ihr geleitete Kommission zur Aufklärung des Hypo-Skandals habe die Akten gelöscht, weil eine Aufbewahrung "völlig unsinnig" gewesen wäre, stellte Griss am Freitag bei ihrer Präsentation als Präsidentschaftskandidatin fest. Zuvor hatte sie behauptet, die Vernichtung schreibe eine Vereinbarung mit dem Finanzministerium vor, das jedoch diese Darstellung dementierte.
Damit verspielt Griss Wertschätzung, die sie für ihre Aufklärungsarbeit in Zusammenhang mit Österreichs größtem Bankskandal erfahren hat. Dass das jetzt ein Thema ist, schiebt sie auf ihre Kandidatur. Dabei hatte der parlamentarische Untersuchungsausschuss die Protokolle angefordert – ein Gremium, dessen Arbeit Griss für unnötig qualifizierte.
Dass jemand, der sich für das höchste Staatsamt bewirbt, dem Parlament Kontrollnotwendigkeiten abspricht, zeugt von einem merkwürdigen rechtsstaatlichen Verständnis. Im U-Ausschuss gilt es, die politische Verantwortung zu klären, was nicht Aufgabe der Griss-Kommission war. Warum Protokolle vernichtet wurden, obwohl der Ausschuss noch arbeitet, wirft Fragen auf. Vertrauensbildend wirkt die Vorgangsweise nicht. Die Aufklärerin hat jetzt selbst Erklärungsbedarf.
Die Reaktion der ehemaligen Präsidentin des Obersten Gerichtshofes ist typisch für das in Österreich vorherrschende Amtsverständnis von Staatsbediensteten: nur nicht zu viel preisgeben, sich möglichst nicht in die Akten schauen lassen, denn es könnte jemand etwas genau wissen wollen. Zwar gibt es nun einen rot-schwarzen Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz, aber das Versprechen, das Amtsgeheimnis aufzuweichen, wird nicht eingelöst.
Grundsätzlich sollten alle Informationen, die nicht den Datenschutz oder Persönlichkeitsrechte verletzen, öffentlich zugänglich sein. Doch der Gesetzesentwurf enthält so viele Möglichkeiten, Zugang zu Information zu verweigern, dass von neuen Freiheiten keine Rede sein kann. Laut dem Vorschlag könnten Behörden, Gerichte, Nationalrat und Landtage, Rechnungshöfe und Volksanwaltschaften selbst über die Informationsweitergabe entscheiden.
Die unter dem Titel "Geheimhaltung" aufgelisteten Ausnahmen sind derart umfassend, dass eigentlich alles darunter fällt. "Zwingende außen- und integrationspolitische Gründe", wirtschaftliche Interessen oder jene der nationalen Sicherheit oder Landesverteidigung sowie "die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe". Auch Journalisten könnten Auskünfte mit der Begründung verweigert werden, dass eine "unbeeinträchtigte Vorbereitung einer Entscheidung" möglich sein müsse. Das würde für jede politische Arbeit gelten und einen massiven Eingriff in die Pressefreiheit bedeuten.
Während auf EU-Ebene eine 15-Tages-Frist für die Beantwortung von Anfragen vorgegeben ist, wollen sich die österreichischen Behörden acht Wochen Zeit lassen können – mit einer achtwöchigen Verlängerungsoption. Anders als in vielen Staaten Europas, aber auch in Australien, soll es keinen Informationsbeauftragten geben, an den man sich wenden kann. Stattdessen muss der kostspielige Klagsweg beschritten werden.
All das zeigt, dass das Amtsgeheimnis nur neu verpackt werden soll, der Staat den Bürgern weiterhin misstraut und Auskünfte verweigert. So bleibt Österreich eine Geheimhaltungsrepublik. (Alexandra Föderl-Schmid, 18.12.2015)