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Auf dem EU-Gipfel sorgte Werner Faymann für internationale Schlagzeilen

Foto: EPA/Dubrule

Bundeskanzler Werner Faymann hat in dieser Woche eine zentrale Rolle bei der Suche nach einer Lösung der Flüchtlingskrise übernommen, und das war für ihn ein Erfolg. Aber die Hauptbotschaft, die auch in den internationalen Medien von ihm vermittelt wurde, war seine Drohung gegen die Osteuropäer, EU-Mittel zu kürzen, wenn sie sich nicht an der vereinbarten Verteilung von Flüchtlingen beteiligen.

Diese wiederholt ausgesprochene Drohung ist ein Fehler, der Europa spaltet und schwächt. Faymann hat damit wieder einmal bewiesen, dass er nach all den Jahren im Amt noch immer kein Gespür für Europa- und Außenpolitik hat.

Die Kampfansage an die Nettoempfänger von EU-Mitteln mag bei vielen Österreichern gut ankommen, die das Verhalten der osteuropäischen Mitgliedsstaaten zurecht als unfair und unsolidarisch empfinden.

EU-Budget steht bis 2020

Aber die Drohung ist erstens nicht durchführbar. Denn das Budget und die Verteilung der Kohäsionsfonds, die den ärmeren EU-Staaten helfen soll, wirtschaftlich aufzuschließen, sind bis 2020 festgeschrieben. Es ist unwahrscheinlich, dass in den Neuverhandlungen im Jahr davor tatsächlich die Flüchtlingsfrage alle anderen Themen überschatten wird.

Zweitens hat Faymann für seinen Vorstoß keine Verbündeten. Die deutsche Regierung ist zwar auch verärgert, verzichtet aber auf eine Verknüpfung von EU-Kohäsionsfonds und Flüchtlingsquoten.

Kürzung würde Österreich schaden

Drittens nützen Investitionen in die Infrastruktur in den östlichen Nachbarländern auch der österreichischen Wirtschaft; eine Kürzung solcher Mittel würde Österreich mittelfristig schaden.

Und viertens ist die Drohung zum jetzigen Zeitpunkt besonders unklug. Sie richtet sich ja in erster Linie an die vier Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei, die den größten Teil der Kohäsionsmittel erhalten. Doch die vier Staaten sind, wie auch mein Kollege Gerald Schubert vor kurzem dargelegt hat, höchst unterschiedlich.

Polen ist schlimmer als Ungarn

Ungarn ist unter Viktor Orbán ein komplizierter Nachbar mit bedrohlichen autoritären Tendenzen. Polen ist unter der neuen Rechtsregierung der PiS noch viel schlimmer. Polens starker Mann Jarosław Kaczynski ist brutaler und weniger geschickt als Orbán. Den Umbau zu einer Art Einparteienstaat, den Orban über Jahre betreibt, versucht Kaczyński und seine Marionetten im Premier- und Präsidentenamt innerhalb von Wochen durchzudrücken.

Damit löst Kaczynski massiven Widerstand in der Bevölkerung und bei den EU-Partnern aus, die er – allen voran Deutschland – vom ersten Tag an vor den Kopf stößt. Der frühere Staatspräsident Lech Walesa mag mit seiner Warnung vor einem Bürgerkrieg vielleicht etwas übertreiben, aber massive Konfrontationen sind vorprogrammiert.

Das Ultimative Mittel der EU

Da die PiS die absolute Mehrheit im polnischen Parlament hat, dürften die sich auf der Straße und auf der EU-Ebene abspielen. Denn wenn die Grundrechte in einem Mitgliedsstaat gravierend verletzt werden, dann kann gemäß Artikel 7 des Lissaboner Vertrags die EU-Mitgliedsschaft ausgesetzt werden.

Dieses ultimative Mittel kam bisher bei Ungarn nicht in Betracht, denn Orban weicht geschickt immer wieder zurück, wenn er zu viel Gegenwind spürt – und bleibt dadurch formal innerhalb des EU-Rechtsrahmens.

Kaczynski ist hingegen nicht dafür bekannt, klein beizugeben. Im Fall von Polen sind EU-Sanktionen sehr wohl ein mögliches Szenario.

Tschechien und Slowakei nicht vom Kopf stoßen

In diesen erwartbaren Auseinandersetzung müssen die demokratisch gesinnten EU-Staaten schauen, dass Tschechien und die Slowakei, die abgesehen vom Flüchtlingsthema gute Europäer sind, an ihrer Seite stehen. Das sollte nicht sehr schwer sein, wenn man sie nicht bewusst vor den Kopf stößt – etwa durch Drohungen wie jene von Faymann. Und selbst Orban könnte darauf bedacht sein, nicht mit Kaczynski in einen Topf geworfen zu werden.

Wenn Faymann auch in Zukunft auf der EU-Ebene ernst genommen werden will, was auch jetzt nicht immer der Fall ist, dann sollte er auf solche nicht durchdachten Ausritte verzichten. (Eric Frey, 19.12.2015)