"In Orsch haben s' mi g'schossen – aber den hab' i derwischt!", kommentierte ein Polizist den Schusswechsel mit den Terroristen. "Erwischt" wurde Hans-Joachim Klein, der von der Rettung ins Wiener AKH gebracht – und später wieder dem Kommando übergeben wurde.

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Thomas Riegler hat soeben das Buch "Tage des Schreckens: Die Opec-Geiselnahme 1975 und die Anfänge des modernen Terrorismus" bei Amazon veröffentlicht. 312 Seiten, 5,50 Euro.

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Am 21. Dezember 1975 stürmte ein aus sechs Personen bestehendes Kommando die Konferenz der Opec-Ölminister in Wien. Bei einem Schusswechsel starben der österreichische Kriminalbeamte Anton Tichler, ein irakischer Sicherheitsmann und der libysche Delegierte Yusuf al-Azmarly. Die Terroristen nahmen etwa 70 Geiseln, darunter elf Ölminister. Anschließend verschanzten sie sich und forderten die Verlesung eines antiisraelischen Kommuniqués im Radio. Diese Forderung wurde erfüllt.

Kreisky ließ das Kommando ausfliegen

Nach hektischen Beratungen traf Bundeskanzler Bruno Kreisky in der Nacht auf 22. Dezember um 1 Uhr die Entscheidung, das Kommando ausfliegen zu lassen. Stunden später starteten die Terroristen, unter ihnen die linksradikalen Deutschen Gabriele Kröcher-Tiedemann und Joachim Klein, mit den Ölministern als Geiseln von Wien-Schwechat in Richtung Algier. Dort wurden die Geiseln schließlich freigelassen.

"Carlos" führte das Kommando an

Angeführt wurden die Terroristen von dem 1992 in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilen Venezolaner "Carlos" Illich Ramírez Sánchez. Der Überfall machte ihn über Nacht weltberühmt – angeklagt wurde er dafür allerdings nie. Von den drei an dem Attentat beteiligten Palästinensern ist nur einer bisher namentlich bekannt. Ungeklärt ist auch die Frage, wer die drei Toten auf dem Gewissen hat. Für Thomas Riegler, Autor des Buches "Tage des Schreckens", steht fest, dass Libyen die Fäden im Hintergrund zog.

STANDARD: Die TV-Nation fieberte am Samstagvormittag dem Sieg des Skirennläufers Hansi Hinterseeer entgegen, als das Kommando die Opec-Konferenz stürmte und damit Österreich völlig überrumpelte ...

Riegler: Ja, für viele Menschen war es ein Schock, da die Aktion völlig unvermittelt gekommen ist.

STANDARD: Obwohl zwei Jahre zuvor palästinensische Terroristen jüdische Auswanderer aus der Sowjetunion im niederösterreichischen Marchegg als Geiseln genommen hatten?

Riegler: Das Problem war, dass man sich selbst eigentlich nie in der Schusslinie gesehen hat. Bedroht waren immer die anderen – etwa die Juden aus der Sowjetunion. Man hatte diese seltsame Perspektive, dass man auf der Insel der Seligen lebt. Und in diese heile Welt ist plötzlich der Nahostkonflikt mit seiner ganzen Schärfe hereingebrochen. Auch konnte sich niemand vorstellen, dass gerade die Opec Ziel eines Terroranschlags werden könnte. Schließlich saßen mit Libyen und dem Irak die damaligen Förderer des internationalen Terrorismus in diesem Gremium.

STANDARD: Tatsächlich steckte wohl einer dieser Staaten hinter der ganzen Aktion.

Riegler: Das Kommando wurde von dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi mit der Geiselnahme "beauftragt". Dieser wollte damit Druck auf Saudi-Arabien und den Iran ausüben, um den Erdölpreis anzuheben.

STANDARD: Nach einem Tag war die Aktion auch schon wieder vorbei, und die Regierung kam mit einem blauen Auge davon ...

Riegler: Das Problem war für sie tatsächlich am nächsten Tag erledigt, indem man die Terroristen ausfliegen ließ. Eine Zeitung titelte: "Wir sind sie los". Was heute unvorstellbar ist: Während der Geiselnahme versammelten sich hunderte Schaulustige gleich in der Nähe des Opec-Gebäudes. Sie betrachteten die Geiselnahme als eine Hetz.

STANDARD: Obwohl ein österreichischer Polizist ermordet wurde?

Riegler: Viele verhielten sich so, als ob es sie nichts angehen würde. Zudem hatte die Opec keinen guten Ruf, und es gab diese "Die trifft es nicht ganz unverdient"-Stimmung. Als der saudische Erdölminister die Schießerei hörte, war sein erster Gedanke, da kommen jetzt irgendwelche Österreicher, die sich wegen der hohen Erdölpreise rächen wollen.

STANDARD: Der damalige sozialdemokratische Innenminister Otto Rösch sorgte für einen Skandal, als er sich per Handschlag von Carlos, dem Anführer des Kommandos, verabschiedete.

"Carlos" Ilich Ramírez Sánchez in den 1980er-Jahren.
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Riegler: Er hat ihm schon zuvor einmal die Hand gegeben, dabei wurde er allerdings nicht fotografiert. Aber einen solchen Handschlag, mit dem sich ein Regierungsmitglied praktisch mit den Terroristen auf eine Ebene begibt, gab es später niemals wieder.

STANDARD: Das wurde später mit Übermüdung begründet.

Riegler: Auch andere Aufnahmen sorgten für Aufregung. Fotografen konnten sich gegenüber dem Flugzeug positionieren und ikonische Aufnahmen vom Abflug der Geiseln machen, die sich in das kollektive Gedächtnis eingeprägten. Diese Fotos stehen in gewisser Hinsicht für den Terrorismus der 70er-Jahre.

STANDARD: Was unterscheidet den Terror der 1970er-Jahre vom heutigen Terror des sogenannten "Islamischen Staats"?

Riegler: Die "Operation Opec" war sehr zielgerichtet. Ab dem Zeitpunkt, als die Terroristen die Minister in ihrer Gewalt hatten, wurde versucht, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Das Ganze hatte sehr stark den Charakter einer geheimdienstlichen Aktion. Hinter dem Terrorismus des IS steht hingegen eine apokalyptische Vision, die Gewalt ist völlig wahllos.

STANDARD: Wie beurteilt "Carlos" den IS?

Riegler: Er ist mittlerweile zum Islam konvertiert und hat sich in Artikeln, die er in seiner Gefängniszelle schreibt, zum islamistischen Terror geäußert. Darin spricht er den heutigen Jihadisten Professionalität ab, da ihre Bomben nicht immer funktionieren. Damit will er seinen eigenen Mythos erhalten.

"Carlos" Illich Ramírez Sánchez 2001 vor Gericht in Frankreich.
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STANDARD: Tatsächlich kennen ihn noch immer viele Menschen.

Riegler: Der Mythos beruht mittlerweile sehr stark auf Filmen, die in Anleihe an seiner Person gedreht wurden. Darin wird er in etwas umgedeutet, was er so nie gewesen ist: ein Superterrorist. (Markus Sulzbacher, 21.12.2015)