Der aus dem Irak stammende Vater ist tot. Das Leben der Sabry-Kinder geht weiter: Maryam (Birgit Stöger, Mi.) will schwanger werden, ihr Ex (Jan Thümer, re.) gebiert künstlerische Ideen.

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Wien – Mitteleuropa, Wien, eine Wohnung: Maryam Sabry (Birgit Stöger) ist mit den Vorbereitungen für das Begräbnis ihres Vaters konfrontiert. Zugleich will die nicht mehr ganz junge Frau dringend schwanger werden. Ein zweites Kind muss her, ein Glück, das sie nicht mit ihrem Exmann Jochen (Jan Thümer) teilen will, sondern – in einer "freundschaftsbasierten Elternschaft" – mit dem schwulen Kumpel Schnute (Knut Berger). Zur Beerdigung reist auch Maryams Bruder Elias (Sebastian Klein) aus Berlin an, frisch verlassen von Camille (Anja Herden).

Auf dem Gerüst dieser kammerspielhaften Grundsituation errichtet Regisseurin und Autorin (im Team) Yael Ronen eine der unmittelbaren Gegenwart abgerungene Gesellschaftskomödie, die es in sich hat.

Eileiterakrobatik

Denn während drinnen Maryam akrobatisch ihre Eileiter in Position bringt, ziehen draußen die Flüchtlingsströme vorbei. Das Flüchtlingsthema wird in Lost and Found vielfach zum Referenzpunkt für das, was die mitteleuropäische Familie zusammenhält – oder eben trennt, was ihre Werte sind, zumindest scheinbar.

Auch Elias hat in Berlin schon bei einer Refugee-Gala gesungen und Kleidung gesammelt. Jochen, preisgekrönter Medienkünstler, "wirkt der Flüchtlingsnot künstlerisch entgegen". In seiner Installation zeigt er allen Ernstes, wie sich verlorene Gegenstände in Salzwasser auflösen.

Sie alle wollen stets zeigen, wie human und engagiert sie sind, doch ihre Reden enden immer bei einem riesengroßen, alles andere überragenden "Ich".

"Schlechtes Timing!" für den Krieg

Fragt Elias verzweifelt: "Wie kann man einem Ertrinkenden denn nicht die Hand geben?!", so spricht er da von sich selbst und seiner privaten Liebestragödie. "Mich macht die Flüchtlingskrise so betroffen", gesteht Maryam, aber sie habe ausgerechnet jetzt leider andere Probleme, "schlechtes Timing!", aber der Krieg in Syrien gehe ja eh noch weiter.

Ronen beweist ausgefeilte Comedy-Qualitäten. Es erstaunt, dass ein im Ensemble entwickelter Text ein so nahtloses, in sich schlüssiges Räderwerk ergibt, das erstklassige, an Larry David und andere Hollywood-Konsorten erinnernde Dialoge enthält. Zudem hat die in Berlin lebende israelisch-österreichische Regisseurin Gespür für interkulturelle Klüfte und damit verbundene Vorurteile.

Die Uraufführung im Volkstheater nimmt nämlich weiter an Fahrt auf, als Onkel Osama aus London anruft und der scheinbar finanzschwachen Bobo-Generation anbietet, die Beerdigung zu bezahlen, vorausgesetzt, sie finde nach muslimischem Ritus statt.

Biedermeier für Flüchtlinge

Hiermit wird das unschuldig-säuberliche Leben der Anfangvierziger kompliziert. Denn Papa, der den Kontakt zu seiner irakischen Familie schleifen ließ, war eigentlich Atheist und führte in seiner Wiener Wohnung ein bourgeoises Leben; seine Biedermeiermöbel wurden längst den Flüchtlingen gespendet, nur Kartons stehen herum (Bühne: Tal Shacham).

Religion ist den Kindern aber piepegal (maximal: Buddhismus), und so machen sie eben auf muslimisch. Die superselbstbewusste Maryam bindet sich gar ein Kopftuch um. Nichts hat mehr Bedeutung. Als Camille dazustößt, die dunkelhäutige Exfreundin aus Berlin, entblößt die aufgeklärte Gesellschaft ihren schlummernden Chauvinismus. Das wirkt nur ganz selten ein wenig platt (vergleichbar den Pointen aus den aktuellen interreligiösen und -kulturellen Filmkomödien Frankreichs, u. a. Monsieur Claude und seine Töchter), fast immer dreht die kluge Dramaturgie (Veronika Maurer) und Inhaltsdichte das Stück um eine Ecke weiter; es enthält und erhellt so viel Zwiespältiges, Verworrenes aus unserer unmittelbaren urbanen Gegenwart.

Die überforderte Gesellschaft

Als schließlich Cousin Yousef (Osama Zatar) als irakischer Flüchtling in der Wohnung steht und für Jochens Kunstprojekt von den Rekrutierungsmodalitäten der IS-Miliz erzählt, klafft das Familiengebilde immer weiter auseinander. "Dann integrieren wir ihn halt!", meinen die einen naiv, "die Zeiten der Political Correctness sind vorbei" (Alvis Hermanis), meinen die anderen. Besser (so schnell, so klug, so heiter) lässt sich unsere überforderte Gesellschaft derzeit kaum aufschlüsseln: ein Stück mit Zukunftspotenzial. (Margarete Affenzeller, 20.12.2015)