Gerhard Pilz war fünfmal Weltmeister der "Formel 1 des Rodelns". Die Bewältigung der Fliehkräfte lernte er schon in der Kindheit. Sein großes Wissen gibt er jetzt in Deutschland weiter, wo die Naturbahnrodler unter der völligen Dominanz der Kollegen von der Kunstbahn leiden.

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Gerhard Pilz ist ein- bis zweimal pro Jahr in Nepal. Er organisiert Trekkingtouren, und er hilft.

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Steeg/Wien – Für Radfahrer ist die Alte Pötschenstraße auf dem Weg vom oberösterreichischen ins steirische Salzkammergut eine Mauer. Für den Bub Gerhard Pilz war sie in die Gegenrichtung, also hinunter ins Tal Richtung Bad Goisern, der schnellste Weg zur Schule – im Winter, wenn er mit seiner Rodel quasi nicht seinesschnellen hatte. Je routinierter der Sohn einer Hausfrau und eines Arbeiters, Bruder zweier Brüder und einer Schwester, wurde, desto länger konnte er im Bett bleiben, desto später musste er auf die Rodel steigen, um noch rechtzeitig zu sein – ein Ansporn.

"Es war wie bei Franz Klammer", sagt Gerhard Pilz, "nur ist der mit den Skiern in die Schule gefahren." Der Kärntner, der als Hänschen lernte, was Hans nimmermehr lernt, wurde Olympiasieger und gewann fünfmal den Abfahrtsweltcup. Das Hänschen aus Oberösterreich wurde fünfmal Weltmeister im Naturbahnrodeln (1986, 1990, 1992, 1994 und 1996) und zweimal Weltcupsieger. Obwohl der Skiabfahrtslauf auch für Gerhard Pilz eine Option gewesen wäre, "eben alles, was schnell und gefährlich war".

Schnell und gefährlich

Die Alte Pötschenstraße war zu dieser Zeit auch eine richtige Rennstrecke für Naturbahnrodler. Gerhard Pilz gab als Jugendlicher den Vorläufer, war da oft schneller als die Folgenden. Der RSC Bad Goisern klopfte an, der Bub blieb bei der Stange, der Weg war vorgezeichnet. Frühe Erfolge halfen auch bei Wünschen nach Freistellungen durch den Arbeitgeber, die SGL Carbon AG, die in ihrer Niederlassung in Steeg am Hallstätter See etwa Graphitelektroden für Hochöfen herstellt. Gerhard Pilz absolvierte eine kaufmännische Ausbildung, wirkte in der EDV und ist heute, da er den deutschen Naturbahnrodlern als sportlicher Leiter quasi Entwicklungshilfe leistet, in der Lagerwirtschaft tätig.

Der junge Gerhard Pilz fuhr als Naturbahnrodler, was schnell und gefährlich war, "auf Forstwegen im Wald", Strecken, deren Zulassung aus Sicherheitsgründen heute schwierig wäre. Es gibt immer noch echte Klassiker, in deren Spur die Angst die Spreu vom Weizen trennt, wo Geschwindigkeiten jenseits der 100 Sachen erreicht werden – in Oberperfuss bei Telfs oder in Aurach bei Kitzbühel. Die technische Entwicklung und Professionalisierung der "einstigen Gaudirodler" von der Naturbahn machte aber vielen Strecken den Garaus.

Ein Kartoffelsack auf der Rodel

Die einstigen Rivalen von der Kunstbahn konnten die Sicherheitsstandards leichter anheben. Und sie boten durch das Kunsteis Planungssicherheit, wie sie etwa die Olympier schätzen – ungeachtet aller Bedenken gegenüber sauteuren, die Umwelt belastenden Kunsteisbahnen. Die Naturbahnrodler rittern seit Jahrzehnten um olympische Anerkennung. "Vergeblich", sagt Gerhard Pilz, Mitglied einer achtköpfigen Naturbahnkommission im Rodelweltverband, "weil wir zum Beispiel in Asien nicht vertreten sind". Die Vergabe der Winterspiele 2022 an Peking sei ein weiterer Tiefschlag gewesen. "Man muss ehrlich sein und sagen, dass der Markt einfach nicht da ist."

Aber Gerhard Pilz sagt auch, dass die Kunstbahnrodler, so sie ehrlich sind, zugeben müssen, dass ihr Sport vergleichsweise einfach ist. "Legt man einen Kartoffelsack auf eine Rodel, kommt er unten an, ohne dass etwas passiert ist. Nur viel lenken birgt Sturzgefahr." Aber weil Kartoffelsäcke nicht zu lenken pflegen und Kunstbahnrodeln relativ leicht zu erlernen ist, rasen Sportler aus 50 Nationen durch die Eiskanäle – darunter auch asiatische.

Die Kufen machen den Unterschied

Gerhard Pilz schätzt die Kollegen durchaus nicht gering: "Wirklich schnell sein ist natürlich eine Sache für sich." Den Unterschied machen die Kufen, die Kunstbahn verlangt abgerundete, die Naturbahn messerscharfe, um sich in den Kurven zu halten. Die werden angebremst, um sie dann so schnell wie möglich im besten Radius, mit dem besten Grip zu durchfahren. "Es geht um die Beherrschung der Fliehkräfte, es ist wie in der Formel 1".

Auf Masse kommt es auf der Naturbahn weniger an, weshalb Frauen auch Teilstücke schneller hinter sich lassen können als Männer. Der Naturbahnrodler, sagt Gerhard Pilz, kommt jede Kunstbahn hinunter, umgekehrt eher nicht. Ein von Sigi Bergmann für "Sport am Montag" initiiertes Duell mit Freund Markus Prock, dem fünfmaligen Kunstbahn-Champ, kam deshalb gar nicht erst zustande.

Gerhard Pilz beendete erst 2007 seine Karriere. Da war der kinderlose Bergabraser längst schon ein ambitionierter Bergaufgeher. In seiner Heimat sowieso, aber vermehrt auch im Himalaja. Die Liebe zu Nepal schlägt sich heute beim staatlich geprüften Bergretter in energischem Engagement für die Nepalesen nieder. Als im Frühjahr zwei schwere Erdbeben das Dorf eines Freundes 80 Kilometer nordwestlich von Kathmandu zerstörten, organisierte erst die Bergrettung Aussee, dann die übergeordnete des Salzkammergutes die Soforthilfe.

35 Tonnen Lebensmittel, Wasser und Material für Notunterkünfte wurde aufgetrieben. Gerhard Pilz ist voll dabei, Spenden werden aufgetrieben, auch durch Vorträge. Der Wiederaufbau einer Schule ist fast vollendet, eine neue Schule im Khumbu-Gebiet ist projektiert. Mag sein, der eine oder andere Zögling dieser Schulen wird mit der Rodel zum Unterricht kommen – vielleicht ist ja irgendwann ein nepalesischer Gerhard Pilz darunter. (Sigi Lützow, 22.12.2015)