Aus den Lautsprechertürmen dröhnt Ghostbusters, während Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias mit seiner Mannschaft die Bühne betritt. Tausende haben geduldig bis Mitternacht auf dem Platz neben dem Madrider Kunstmuseum Reina Sofia ausgeharrt, um den Erfolg zu feiern. "Präsident, Präsident!", jubeln sie "ihrem" Pablo schon ins Amt des Ministerpräsidenten.
Knapp 21 Prozent erzielte Podemos (Wir können) auf Anhieb und liegt damit auf Platz drei. Die Partei, die vor knapp zwei Jahren gegründet wurde und sich den Kampf gegen Korruption und Sparpolitik auf die Fahnen geschrieben hat, gilt damit als Wahlsieger. "Heute wurde ein neues Spanien geboren, das eine neue politische Epoche eröffnet", tönt Iglesias selbstsicher. "Die Geschichte gehört uns, es sind die Völker, die sie machen", zitiert er den ehemaligen chilenischen Präsidenten Salvador Allende.
Konservative abgestraft
Das Ergebnis von Podemos ist die Niederlage des alten Zweiparteiensystems. Der bisher mit absoluter Mehrheit regierende Partido Popular (PP) unter Mariano Rajoy wurde für Korruptionsskandale und Austeritätspolitik abgestraft (siehe Grafik). Der sozialistische PSOE konnte davon nicht profitieren, fuhr sogar sein historisch schlechtestes Ergebnis ein. Podemos liegt nur knapp dahinter. Enttäuschend verlief die Wahl für Ciudadanos (Bürger) unter Albert Rivera. Statt des erhofften zweiten Platzes landete man auf Rang vier.
In der Wahlnacht machte sich aber auch Ratlosigkeit breit. Denn egal, wie man rechnet, es gibt keine stabile Mehrheit. Weder PP mit Ciudadanos noch PSOE mit Podemos kommen auf die nötigen Mandate. Bleibt die Möglichkeit einer Minderheitsregierung mit wechselnden Bündnispartnern.
"Ich werde versuchen, eine stabile Regierung zu bilden", beteuerte Rajoy, wohl wissend, dass eine Bedingung von Ciudadanos für die Unterstützung des PP sein Kopf sein wird. Schon wird spekuliert, ob er seiner Stellvertreterin Soraya Sáenz de Santamaría den Vortritt lassen wird. "Spanien will links, will den Wandel", sagt dagegen PSOE-Chef Pedro Sánchez trotz seines schlechten Ergebnisses.
Podemos schnürte noch in der Wahlnacht ein ehrgeiziges Paket aus Verfassungsreformen, das – so die Forderung – noch vor eigentlichen Bündnisverhandlungen im Parlament verabschiedet werden soll. "Spanien hat für einen nicht aufschiebbaren Systemwandel gestimmt", verkündete Iglesias und forderte erneut die Verankerung sozialer Rechte – Ende der Zwangsräumungen von Wohnungen, öffentliches Gesundheits- und Bildungswesen – in der Verfassung. Außerdem verlangt er ein Wahlrecht, das unter anderem festschreiben soll, dass eine Regierung, die ihr Programm nicht erfüllt, per Referendum zur Halbzeit abgesetzt werden kann.
Podemos für Vielfalt
Im Parlament will Podemos der Vielfalt Spaniens Ausdruck verleihen. In Katalonien, Valencia und Galicien ist die neue Partei im Bündnis mit regionalen Kräften angetreten. Diese Listen werden eigene Fraktionen erhalten. Podemos wird somit nicht ein Mal, sondern vier Mal vertreten sein.
So mancher in Wirtschaft, Medien und im PSOE – etwa der Expremier Felipe González – sehen nur einen Ausweg aus dem Dilemma eines aufgesplitterten Parlaments: eine große Koalition. Auch Brüssel und Berlin dürften hinter den Kulissen Druck in diese Richtung ausüben, denn 2016 will die Troika durch weitere Sparmaßnahmen rund zehn Milliarden Euro von Spanien einfordern. Die PSOE teilte am Montag allerdings mit, man werde "Nein" zur PP und zu Premier Mariano Rajoy sagen.
PP und Ciudadanos stünden einem solchen Bündnis wohlwollend gegenüber. "Der Ball liegt bei Sánchez", sagt Ciudadanos-Chef Rivera. Gleichzeitig verlangt Rajoy "Verantwortungsbewusstsein". Sánchez ziert sich: Denn er fürchtet, dass dies weitere Wähler in die Arme von Podemos treiben könnte. Wie schnell das gehen kann, hat Griechenland bewiesen. Dort liegt die einst mächtige Pasok nach einer großen Koalition bei acht Prozent. Die Schwester von Podemos, Syriza, profitierte hingegen. (Reiner Wandler aus Madrid, 21.12.2015)