Wien – Vorsitzende Beate Matschnig ist verschnupft. Nicht nur körperlich, sondern auch wegen des Angeklagten und eines Zeugen in dem Schöffenverfahren gegen Sharif R., dem die Vergewaltigung einer polnischen Touristin vorgeworfen wird.
Matschnigs Unmut hat mehrere Gründe. Der 19-jährige R. sagt zwar grundsätzlich, dass er geständig ist, will dann aber doch nicht wissen, ob der Geschlechtsverkehr mit der Frau einvernehmlich war. Dann wirft er auch einem Bekannten eine Attacke vor, die nicht einmal das Opfer selbst beschreibt. Dieser Bekannte wiederum sagt vor Gericht etwas anderes aus als bei der Polizei.
Aber der Reihe nach. Das Opfer, deren Mann in Wien arbeitet, hatte sich am Abend des 19. August verlaufen. In einem Park sah sie sechs junge Männer sitzen und fragte diese, ob sie ihr den Weg zur Wohnung ihres Mannes zeigen könnten.
Über Böschung gestoßen
R. erbot sich sogar, sie hinzuführen. Weit ging man aber nicht: Laut Opfer versetzte er der Frau plötzlich einen Stoß, sodass sie eine Böschung hinunterkollerte. Dort stürzte sich der Unbescholtene auf sie und verging sich an ihr.
Das geschockte Opfer, das nicht erschienen ist, hoffte darauf, ihrem Peiniger eine Falle stellen zu können, nachdem der verkündet hatte, dass er "jetzt fertig ist". Sie überredete R., sie weiter zur Wohnung des Mannes zu begleiten, der den Teenager vielleicht festhalten könnte.
Konnte er nicht, aber zwei der nach der Tat aufgetauchten Bekannten R.s. Einer davon identifizierte den Angeklagten, der am nächsten Morgen freiwillig zur Polizei ging. Zunächst leugnete er aber, etwas mit der Sache zu tun zu haben, ehe ihn eine DNA-Analyse überführte.
Alkoholbedingte Amnesie
R. sagt nun, er bekenne sich schuldig, könne sich aber alkoholbedingt nicht mehr erinnern. "Woran können Sie sich erinnern?", will Beisitzer Daniel Schmitzberger wissen. "Mit Gewalt und gegen ihren Willen habe ich es nicht getan. Aber ich hatte Geschlechtsverkehr." – "Und Sie glauben, sie wollte den?" – "Das kann ich nicht feststellen, ich war nicht bei mir."
Der psychiatrische Sachverständige schließt eine volle Berauschung aus, und auch in der Gerichtsverhandlung zeigt sich, dass die Amnesie von kurzer Dauer gewesen ist. R. kann sich nämlich ganz genau daran erinnern, dass einer seiner Bekannten das Opfer danach zu Sturz gebracht hat. Ihre Knochenbrüche könnte sie sich vielleicht dabei zugezogen haben.
"Das sagt nicht einmal das Opfer!", hält ihm Matschnig mit lauter Stimme vor. Auch Staatsanwalt Wolfram Bauer ist darüber so erzürnt, dass er sich eine Ausdehnung der Anklage auf Verleumdung vorbehält.
Angeblicher Druck auf Zeugen
Der Ankläger vermutet noch etwas anderes: dass R. nämlich seinen Besuchern im Gefängnis aufgetragen habe, den Bekannten unter Druck zu setzen, damit der eine Falschaussage mache.
Sein Indiz: das Mail der ermittelnden Polizistin. In dem steht, dass der Zeuge ein zweites Mal bei ihr war, zunächst davon gesprochen habe, er sei betrunken gegen die Frau gestoßen, die daraufhin zu Boden gefallen sei.
Nachdem ihn die Beamtin über das Delikt der falschen Zeugenaussage belehrt hatte, zog er das aber doch wieder zurück. Die Polizistin schreibt auch, der Zeuge habe davon gesprochen, von seinen Bekannten als Verräter bezeichnet worden zu sein.
Farhad K. kann aber selbst befragt werden, der 16-Jährige sitzt verschüchtert vor dem Senat. Von der Vergewaltigung habe er nichts mitbekommen, das mit dem Sturz stimme aber. Matschnig geht in die Luft: "Warum haben Sie das nie vorher gesagt? Warum sagt das die Frau nicht? Und warum ist es genau das, was der Angeklagte behauptet?"
Schöffin bietet Erklärung
Die Schöffin bietet dafür aber eine Erklärung. Bei dem Sturz handelt es sich um einen Zwischenfall nach der Tat, und das Opfer könne sich in seinem Schock nach der Tat möglicherweise einfach nicht mehr daran erinnern. Und rechtlich gesehen hätte er es bei der Polizei auch nicht sagen müssen, da er sich dadurch möglicherweise selbst der Körperverletzung beschuldigt hätte.
Da der Angeklagte eigentlich nur zugesteht, er habe Geschlechtsverkehr mit der Frau gehabt, steht eine Vertagung im Raum, um sie in Polen nochmals zu laden. Verteidigerin Brigitte Heaman-Dunn verlässt mit ihrem Mandanten und dem Dolmetscher daraufhin kurz den Raum für ein Gespräch, bei der Rückkehr heißt es dann, R. gestehe, es sei gegen den Willen der Frau geschehen.
Für das nicht rechtskräftige Urteil braucht der Senat nicht viel Zeit: drei Jahre unbedingte Haft, vier Monate Untersuchungshaft werden angerechnet. (Michael Möseneder, 22.12.2015)