Andrea Pauli ist nach einer Postdoc-Stelle in den USA heuer als Gruppenleiterin an das Wiener Institut für Molekulare Pathologie zurückgekehrt, wo sie zehn Jahre zuvor mit ihrem PhD begonnen hatte.

Foto: Corn

In ihrer Forschung zu Zebrafischen entdeckte Andrea Pauli mit Kollegen ein RNA-Molekül, das die Herzentwicklung beeinflusst.

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STANDARD: Nach zehn Jahren an den Universitäten in Oxford und Harvard sind Sie seit heuer wieder in Wien. Ist das eine geplante Rückkehr?

Pauli: Nein, das kann man in unserem Beruf nicht planen. Das Einzige, was ich wusste, war: Ich möchte meinen Postdoc in Amerika machen und dann als Gruppenleiterin wieder in Europa arbeiten. Dass ich nun wieder am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien gelandet bin, wo ich vor zehn Jahren meinen PhD begonnen hatte, hätte ich niemals erwartet.

STANDARD: Warum?

Pauli: Weil ich mich in der Zwischenzeit auf ein ganz anderes Arbeitsgebiet verlegt habe. Früher habe ich an Chromosomen von Fruchtfliegen geforscht, heute betreibe ich molekulare Entwicklungsbiologie am Zebrafisch – ein Fach, das es bis vor kurzem am IMP noch gar nicht gab.

STANDARD: Welche Veröffentlichung war aus Ihrer Sicht das Ticket für die nächste Karrierestufe in Europa?

Pauli: Wir haben RNA-Moleküle entdeckt, die eine wichtige Funktion für die Entwicklung von Zebrafischen haben. Eines davon haben wir speziell untersucht: Wie sich gezeigt hat, stellt es ein Peptid namens "Toddler" her. Mutanten, die dieses Peptid nicht besitzen, entwickeln kein normales Herz – und sterben daher nach fünf Tagen.

STANDARD: "Toddler" wie "Kleinkind"? Warum heißt das Peptid ausgerechnet so?

Pauli: Während der Entwicklung des Fischembryos müssen die einzelnen Zellen zielstrebig an einen bestimmten Ort wandern. In der "Toddler"-Mutante wissen die Zellen nicht so recht, wo sie hinsollen. Es sieht so aus, als wären sie ein bisschen ungeschickt. Das hat uns an das Krabbeln von Kleinkindern erinnert – daher haben wir das Peptid so genannt.

STANDARD: Vor 20 Jahren wurde das Erbgut von Menschen und Tieren noch säuberlich in zwei Bereiche getrennt: in die funktionalen Abschnitte und in jene, die man etwas despektierlich Junk-DNA nennt. Ist diese Trennung heute noch aufrechtzuerhalten?

Pauli: In dieser strikten Form sicher nicht. Viele Abschnitte der Junk-DNA haben tatsächlich keine Funktion, doch andere sind sehr wichtig, beispielsweise für die Genregulierung. Auch "Toddler" liegt in einem Bereich, den man früher der Junk-DNA zugerechnet hat. In den letzten zehn Jahren hat sich auf diesem Gebiet viel getan, wenngleich wir auch heute noch immer nicht genau wissen, was im Erbgut alles passiert.

STANDARD: Wo liegen die unentdeckten Kontinente der Genetik?

Pauli: Wir wissen immer noch nicht genau, wie die Genregulation in unterschiedlichen Zelltypen funktioniert. Leber- und Herzzellen haben zwar das gleiche Erbgut, aber ihre Identität erhalten sie erst durch das Ein- und Ausschalten bestimmter Gene. Es muss also im Erbgut einen zusätzlichen Code geben. An dessen Entzifferung arbeiten zurzeit viele Forschergruppen. Wie unsere Forschungen zeigen, gibt es auch noch eine Menge von Genen zu entdecken. Sie wurden in der Vergangenheit übersehen, weil sie so klein sind.

STANDARD: Das Feld der Molekularbiologie ist mittlerweile sehr ausdifferenziert. Versteht man überhaupt, woran die Kollegen im Nebenlabor forschen?

Pauli: Wenn es im weitesten Sinne um Molekularbiologie geht, verstehe ich es ziemlich gut. Es gibt hier im Haus auch Kollegen, die im Bereich Neurobiologie arbeiten, da muss ich zugeben: Das ist für mich oft – obwohl ich es faszinierend finde – eine fremde Welt. Wenn man auf diesem Gebiet kein Spezialist ist, hat man selbst als Molekularbiologe Schwierigkeiten, die Feinheiten zu verstehen.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, dass angesichts der Spezialisierung das große Ganze aus dem Blickfeld gerät?

Pauli: Nein. Natürlich ist es heutzutage völlig unmöglich, einen Überblick auf allen Gebieten zu haben. Die meisten Entdeckungen entstehen auf einem sehr beschränkten Gebiet. Doch ohne diese Detailkenntnisse könnten wir gar kein großes Bild herstellen. "Toddler" gibt uns beispielsweise den Hinweis, dass vermutlich noch viele andere kleine Peptide existieren, die eine ähnlich wichtige Aufgabe haben. Das gilt nicht nur für den Zebrafisch, sondern auch für den Menschen.

STANDARD: In Ihrer Forschung verwenden Sie auch eine biochemische Methode namens "CRISPR/Cas". Diese hat, wie es heißt, die Molekularbiologie revolutioniert. Kürzlich wurde sie vom Magazin "Science" zum Durchbruch des Jahres gewählt. Warum ist die Methode so wichtig?

Pauli: Weil man mit ihr ganz gezielt Gene entfernen oder verändern kann. Wir verwenden diese Methode bei unseren Experimenten an Zebrafischen, um die Funktionen von Gensequenzen herauszufinden.

STANDARD: Gene konnte man doch auch schon früher mutieren, oder?

Pauli: Schon, doch weder so gezielt noch so effizient – und auch nicht in beliebigen Organismen. Früher waren solche Experimente auf ein paar Modelltiere wie zum Beispiel die Maus oder die Fliege beschränkt. Das hat sich nun komplett geändert.

STANDARD: Die Entdeckerinnen von CRISPR/Cas werden bereits jetzt als Favoritinnen für den Nobelpreis gehandelt, obwohl die Methode erst drei Jahre alt ist. Zu Recht?

Pauli: Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna werden den Nobelpreis bekommen, das ist aus meiner Sicht garantiert. Gute Chancen hat auch Feng Zhang, der mit den beiden die praktische Anwendung von CRISPR/Cas entwickelt hat. Offen ist noch, wer die Patente für die Methode erhält. Hier geht es auch um viel Geld.

STANDARD: Die Methode ist nicht zuletzt auch wegen ihrer ethischen Implikationen in die Schlagzeilen geraten. Warum?

Pauli: Sie ist extrem nützlich, aber auch gefährlich, weil man damit ins menschliche Erbgut eingreifen kann. Das Problem ist: Die Methode ist so einfach, dass sie im Grun- de jeder verwenden kann, der einen molekularbiologischen Hintergrund hat. Genetisch veränderte menschliche Embryonen in Schwangerschaften einzusetzen, gilt derzeit als absolutes Tabu – aus meiner Sicht völlig zu Recht.

STANDARD: Designerbabys wären im Bereich des Möglichen?

Pauli: Rein technisch betrachtet, ja, aber wir wissen derzeit noch viel zu wenig über die Auswirkungen und eventuellen Nebeneffekte, die genetische Veränderungen auch langzeitig nach sich ziehen könnten.

STANDARD: Glauben Sie, dass diese Experimente jemals durchgeführt werden?

Pauli: Es würde mich sehr wundern, wenn es nicht irgendwo jemanden gäbe, der es tut, weil es eben machbar ist. Gerade weil der potenzielle Nutzen, zum Beispiel um andernfalls unheilbare Erbkrankheiten zu heilen, so groß ist, brauchen wir unbedingt weitere Grundlagenforschung. Und wir brauchen strikte internationale Regulierungen, um so etwas wie Designerbabys zu verhindern.
(Robert Czepel, 29.12.2015)