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Von hochwertiger Bildung, Armutsbekämpfung, Geschlechtergerechtigkeit bis zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum enthält der Katalog der neuen UN-Entwicklungsziele so ziemlich alles, was den Vereinten Nationen und NGOs wichtig ist. Nur Umsetzung und Überprüfung bleiben fraglich.

Foto: Reuters / Anindito Mukherjee

Wien/Salzburg – Mit 1. Jänner 2016 treten die neuen "nachhaltigen Entwicklungsziele" der Uno in Kraft. Demnach sollen bis 2030 Hunger und Armut verschwunden sein. Auch Österreich hat sich zur Erfüllung der ambitionierten Ziele mit ihren 169 Unterpunkten verpflichtet. Hiesige Wissenschafter sehen diese verhalten positiv.

Zur Vorgeschichte: Im September 2000 hat die Vollversammlung der Uno die Millenniumsentwicklungsziele zur Armutsbekämpfung formuliert. Bis zum Jahr 2015 sollte die Zahl der Hungernden halbiert und die Kindersterblichkeit um zwei Drittel reduziert werden. Jeder Bub und jedes Mädchen sollte eine Schule besuchen. Das waren einige der insgesamt acht Ziele. Längst nicht alle wurden erreicht.

Mit Blick auf die großen globalen Herausforderungen wurde daher 2010 beschlossen, eine Agenda für die Zeit nach dem Ablaufen der Millenniumsentwicklungsziele zu erarbeiten.

Ein Zuckerl für jede Lobby

Um möglichst breite Zustimmung zu erhalten, leiteten die UN im Jahr 2012 den größten Planungs- und Konsultationsprozess ihrer Geschichte ein. Was herauskam, war ein rund 30-seitiger Zielkatalog mit dem Titel Unsere Welt verändern. Programm für nachhaltige Entwicklung bis 2030. Vor kurzem, im September 2015, einigten sich die Vereinten Nationen auf nicht weniger als 169 "nachhaltige Entwicklungsziele", auf Englisch "sustainable development goals" (SDGs) in 17 Themenfeldern.

"Was die Stärke der SDGs ist, ist zugleich ihre große Schwäche", sagt Wolfgang Lutz, Direktor des Vienna Institute of Demography an der Akademie der Wissenschaften. Die neue Liste stellt gewissermaßen jede Lobbygruppe zufrieden, meint Lutz. Der Katalog enthält alles, was der Uno und den NGOs wichtig ist: Von der Armutsbekämpfung als dem obersten Ziel über hochwertige Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, Steuerpolitik, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, menschenwürdige Arbeit bis zum Kampf gegen den Klimawandel und zum Schutz des Planeten mit seinen natürlichen Ressourcen.

Deswegen vergleicht Lutz die Ziele mit einer "Wunschliste ans Christkind". Nachsatz: "Aber allein schon, dass es zum ersten Mal einen gemeinsamen Prozess zwischen Politikern, Wissenschaftern und Stakeholdern wie den NGOs in allen Ländern gegeben hat, war richtig und gewichtig." Lutz brachte bei den Anhörungen in Sachen SDGs Argumente für die Stärkung der Bildung ein. Seiner Gruppe war es 2008 gelungen, erstmals mit empirischen Daten nachzuweisen, dass Bildung die entscheidende Voraussetzung für Wirtschaftswachstum ist, vor allem für Länder, die aus der Armut kommen.

Hilfe zur Selbsthilfe

Auch bei der Bekämpfung des Klimawandels ist eine breite Basisbildung effektiver als aufwendige Ingenieurprojekte, wie eine Studie zeigte, die im Vorjahr im Fachblatt Science erschienen ist. "Welche technischen Investitionen sinnvoll sind, wissen wir nicht, weil wir nicht wissen, wo es heißer wird oder mehr regnen wird", sagt Lutz. "Statt jetzt viel Zement zu verbauen, sollten die Menschen durch Bildung besser befähigt werden, sich selbst helfen zu können, wenn es so weit ist."

Dass die Ziele zu ambitioniert sind und Wunschdenken zulasten eines erfüllbaren Konzepts darstellen, wie Kritiker bemängeln, findet die Volkswirtin Sigrid Stagl hingegen nicht. Die Leiterin des Instituts für Ökologische Ökonomie am Department für Sozioökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien zieht historische Beispiele zur Veranschaulichung heran. "Wenn die Problemlage groß ist, müssen die Ziele ambitioniert sein." Als Beispiele nennt sie den Kampf gegen Sklavenhandel und Kinderarbeit oder jenen für das Wahlrecht von Frauen. "All das wurde am Anfang als illusorisch abgetan. Jetzt ist es Realität." Den wichtigsten Punkt des neuen Aktionsplans sieht Stagl darin, dass erstmals wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklungsziele verknüpft werden, und das für alle Staaten. "Zukunftsfähiges Wirtschaften bedeutet, dass alle drei Ziele gemeinsam in allen Ländern verfolgt werden müssen – und nicht, dass zuerst die ökonomische Effizienz maximiert wird, um im Nachhinein soziale Ungleichheiten auszubügeln und vielleicht zum Schluss noch Umweltpolitik zu machen."

Ein Schwachpunkt sei allerdings, dass die sogenannten Indikatoren noch völlig fehlen. Diese sind die konkreten Zahlen, mit denen die allgemein formulierten Ziele empirisch messbar gemacht werden können. Erst im kommenden Frühjahr wird die Statistische Kommission der Vereinten Nationen die Indikatoren vorstellen. Jedes Land kann dann noch eigene hinzufügen.

Die Indikatoren sind für den Philosophen Gottfried Schweiger vom Zentrum für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg einer der Knackpunkte bei der Armutsbekämpfung. Das Zentrum ist als österreichisches Hauptquartier für das globale Akademische Armutsforschungsnetzwerk ASAP bei der Erforschung der Umsetzungsprozesse der Entwicklungsziele maßgeblich tätig. Schweiger beschäftigt sich in erster Linie mit der Kinderarmut.

245.000 Kinder in Armut

"2014 lebten in Österreich ungefähr 245.000 Kinder in armutsgefährdeten Haushalten – diese Zahl ist in den letzten Jahren relativ stabil geblieben. Mit Blick auf die SDGs ist hier sehr viel zu tun." Noch sei völlig unklar, welche Maßnahmen von der Politik geplant sind, um die Ziele zu erreichen, und wie die Verwirklichung der Ziele überprüft werden soll.

Nach Schätzungen der UN würde die Verwirklichung der "Nachhaltigen Entwicklungsziele" jährlich rund drei Billionen Euro kosten. Das ist ein Vielfaches davon, was westliche Staaten an Entwicklungshilfe zu zahlen versprechen. Seriöse Summen könne man nicht nennen, wendet Lutz ein. Und: Geld allein sei nicht die Lösung. Das Bewusstsein müsse sich verändern. Obwohl das Erreichen der Ziele freiwillig ist, zeigt sich Lutz hoffnungsvoll: "Was wäre die Alternative? Dass wir gar nichts tun? Ich sehe einen Hoffnungsschimmer am Horizont." (Maria Mayer, 24.12.2015)