"Leg dich hin, halte still und denke daran, was Britannien so groß gemacht hat", mahnt Sonja Boyces Bild (1986).

Foto: Arts Council Collection / Tate

Elizabeth Butler zeigt die Überreste einer Armee (1879).

Foto: Arts Council Collection / Tate

Über die Bedeutung der weltumspannenden englischsprachigen Völkerfamilie des Commonwealth reden außenpolitische Sonntagsredner in Großbritannien immer gern. 54 Staaten gehören derzeit dazu, darunter jene 16 von Neuseeland bis Jamaika, deren Staatsoberhaupt bis heute Queen Elizabeth II (89) ist. Der Commonwealth ist natürlich ein Überrest des britischen Empire, von dem aber selten die Rede ist, am allerwenigsten auf der Insel selbst. Über das zeitweilig größte Imperium der Welt sprechen die Briten gar nicht gern. Im Schulunterricht kommen zwar herzzerreißende Geschichten über Sklaverei zur Sprache, sie spielen aber meist in den Südstaaten der USA, nicht in den karibischen Zuckerplantagen, von deren Profitabilität man jahrhundertelang profitierte.

Wehe, jemand räumt britische Versäumnisse, gar Schuld ein. Als Premierminister Tony Blair 1997 zum 150-jährigen Jubiläum der irischen Hungersnot vom "Versagen der damaligen Machthaber in London" sprach, musste er sich bittere Vorwürfe anhören. Heuchelei, Verdrängen, Wegducken bleibt bis heute Maxime.

Nicht so unter Künstlern und Intellektuellen. Von der jahrhundertelang unterdrückten Nachbarinsel Irland handelt eines der ersten Ausstellungsstücke in der neuen Ausstellung der Tate Britain. Unter dem Titel Artist & Empire haben Chefkuratorin Alison Smith und ihr Team mehr als 200 Exponate zusammengestellt. Kollektiv präsentieren sie Glanz und Elend aus 400 Jahren, demonstrieren den Einsatz von Kunst als Propagandamittel und als eindrucksvolle Zeugnisse von Aufarbeitungsversuchen – alles ohne aufdringliche didaktische Attitüde.

Ob nun Irland wirklich Englands "erste Kolonie" war oder ob diese Ehre nicht doch eher Wales zufällt – jedenfalls demonstriert John Thomas' Aquarell Die Belagerung der Burg von Enniskillen aus dem Jahr 1593 den englisch-protestantischen Herrschaftsanspruch über die gälischen Rebellen. Gleichzeitig dient das Kunstwerk, halb Zeichnung, halb Karte, als Musterbeispiel des ersten von sechs Ausstellungsteilen: "Kartieren und Markieren" stellten wichtige Symbole des englisch-britischen Hoheitsanspruchs dar, bis hin zu den berühmten Weltkarten des frühen 20. Jahrhunderts, auf denen das Empire meist in würdigem Purpurrot dargestellt wurde.

Die Tate-Leute haben sich ausdrücklich nicht an die Chronologie gehalten, sondern "jedem Saal ein eigenes Thema gewidmet", erläutert Smith. Das Konzept trägt zum glänzenden Gelingen der Ausstellung bei. Trophäen des Empire, Kleidung als Machtausdruck, heroische Darstellungen – jeweils thematisch zusammengestellt ergibt das ein faszinierendes Bild imperialer Attitüde, reflektiert von Künstlern.

Zusammenprall der Kulturen

Wie Menschen von heute wirken die drei "echten Kunsthandwerker" aus Agra in Indien, die 1886 der Wiener Rudolf Swoboda (1859-1914) für Königin Viktoria malte. Genauso großartig zeigt ein Werk des bekannten Pferdemalers George Stubbs (1724-1806) den Zusammenprall der Kulturen. Der Generalgouverneur von Madras hatte König Georg III. als Zeichen seiner Ehrerbietung 1764 ein Gepardenweibchen mitsamt zweier indischer Wärter geschickt. Weil sich der König für exotische Tiere nicht interessierte, erhielt der Herzog von Cumberland die Raubkatze. Später lebte sie unter dem Kosenamen Miss Jenny im Zoo am Tower of London.

Kein Mangel herrscht an heroischen Darstellungen britischer Verwaltungs- und Kriegskunst. Stets blicken Männer mit entschlossenem Gesichtsausdruck von der Leinwand. "Stiff upper lip", lautet die Devise, ob man nun Geschenke untertäniger Inder entgegennimmt oder sich den Gotteskriegern der Mahdi-Armee präsentiert wie General Gordon im Gemälde von George William Joy. Scheinbar teilnahmslos tritt der Mann in Uniform dort im Januar 1885 am Ende der einjährigen Belagerung von Khartoum seinen Henkern entgegen. Dass die Londoner Regierung wegen ihrer zögerlichen Haltung an Gordons Tod Mitschuld trug, wen kümmert's?

Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand das Original in einer Privatschule in Surrey, wo die Schüler es zeitweise als Zielscheibe für Dart-Wettbewerbe missbrauchten. Dies war die Zeit, in der man Millionen von Migranten aus den früheren Kolonien ins Land ließ – stillschweigender Ausgleich für die Plünderungen und Massenmorde früherer Jahrhunderte. Inzwischen gebe es wieder ein "echtes Bedürfnis, mehr übers Empire zu lernen", glaubt Kuratorin Smith. Ihre Ausstellung birgt dazu vielerlei Anregungen. (Sebastian Borger aus London, 22.12.2015)