Kinderoper für die Staatsoper: Johanna Doderer.

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STANDARD: Wie kam es dazu, dass aus dem Märchen eines deutsch-syrischen Schriftstellers eine Kinderoper wurde?

Doderer: Als mich Dominique Meyer gefragt hat, ob ich eine Kinderoper schreibe, ist mir sofort Rafik Schami eingefallen – ich lese seine Bücher schon lange. Ich habe daraufhin mit ihm Kontakt aufgenommen und ihn in Wien getroffen. Er hat mir auch andere Sachen geschickt, aber es war relativ schnell klar, dass es Fatima wird.

STANDARD: Welche Themen haben Sie daran interessiert?

Doderer: Die Befreiung der Träume und auch die Courage, die Hassan und Fatima haben. Fatima ist klug, und es ist raffiniert, wie sie es macht, den Schlossherrn zu überlisten. Sie will erreichen, dass ihr Bruder und die anderen Kinder wieder ihre Träume zurückbekommen. Diese Geschichte handelt davon, dass Kinder wirklich etwas zu sagen haben und dass wir sie ernst nehmen sollen.

STANDARD: In der Geschichte werden den Kindern die Träume gestohlen. Aber sind Träume nicht genau das, was man selbst dem Hilflosesten nicht nehmen kann?

Doderer: Die Träume symbolisieren den inneren Reichtum. Der Schlossherr steht für die materialistische Welt, für die Welt der Gier. Er hat zwar alles an äußerem Reichtum, aber er ist innerlich tot, er hat keine Träume mehr.

STANDARD: Welche Träume haben Sie selbst als Kind gehabt?

Doderer: Ich habe viel geträumt, und ich träume immer noch viel! Ich habe Pferde geliebt, das Wilde, Abenteuer, leben, lieben ...!

STANDARD: Das heißt, Sie waren als Kind eh nah an der furchtlosen Fatima dran!

Doderer: Ich war nicht furchtlos, aber mutig ist man ja nur, wenn man Angst hat und es trotzdem tut. Ich hatte eine freie Kindheit, war viel draußen, wir sind viel gereist. Ich bin zum Teil in Vorarlberg aufgewachsen und zum Teil in Korsika. Meine Eltern waren großartig, sie sind großartig! Meine Mutter geht auf die 80 zu und ist immer noch eine Fatima!

STANDARD: Sie haben Klavier studiert. Wann war bei Ihnen der Wunsch da zu komponieren?

Doderer: Ich komme von der Improvisation. Meine Musik war schon am Anfang da, das Notenlesen und Stückespielen kam danach. Nachdem ich sämtliche Schulen abgebrochen habe, war das Klavierspielen meine Existenzberechtigung. Freunde von mir haben mich mit dem Komponisten Gerold Amann bekanntgemacht, und ich konnte bei ihm lernen, so ab 18. Das Schreiben war immer in mir drinnen, und wie ich es vermehrt gemacht habe, war es wie eine Befreiung.

STANDARD: Welche Musik interessiert Sie heute?

Doderer: Alles, was gut klingt. Ich liebe Puccini, die italienische Oper, Strauss haben mich in der Instrumentation sehr beeinflusst, ich liebe Schostakowitsch, Bruckner, Luigi Nono und Lutoslawski. Und ich mag sogar Techno.

STANDARD: Wird man heutzutage von der sogenannten Avantgardefraktion immer noch angefeindet, wenn man auch tonal komponiert?

Doderer: Von wenigen, aber auf eine aggressive Weise. Mich lässt man mittlerweile eher in Ruhe, weil ich viel gespielt werde ...

STANDARD: Purzeln die Töne und Klänge eher so aus Ihnen raus, oder tüfteln Sie lang herum?

Doderer: Es fließt. Wenn ich mich hinsetze, dann ist auch gleich etwas da. Aber ich arbeite die Sachen dann auch gerne aus. Generell kann ich mich in einen Stoff, in eine Klangwelt sehr hineinziehen lassen, speziell bei Opern.

STANDARD: Sie haben bei "Fatima" auf eine Ouvertüre verzichtet. Es geht sofort los, Hassan steht auf der Bühne und spricht zu Kindern.

Doderer: Ich wollte, dass die Kinder in diesem großen Haus gleich eine Bezugsperson haben. Erst als er in den Wald geht, kommt ein Orchesterzwischenspiel. Ich möchte die Kinder berühren, sie öffnen, aber verschrecken möchte ich sie nicht. Eine große Arie der Mutter, die ihre Trauer ausdrückt, wie sie auf Hassan wartet, wurde mir gestrichen – zu Recht. Sie war zu lang. Bei den Kindern muss es schnell weitergehen. Und es gibt drei Lieder zum Mitsingen, das war Dominique Meyers Idee.

STANDARD: Stimmt es, dass Sie eine syrische Familie mit zwei kleinen Kindern bei sich in der Wohnung aufgenommen haben?

Doderer: Ja, sie haben ein paar Monate bei mir gewohnt und sind vor kurzem ausgezogen. Ich habe eine Wohnung und eine Arbeit für sie gefunden. Sie sind Krankenpfleger, sie wollen ja arbeiten, sie wollen zurück in die Normalität. Wir sollten alle etwas tun, jeder auf seine Weise. Es war eine anstrengende, aber auch eine schöne Zeit. Natürlich war ich ab und zu der Verzweiflung nahe. Aber trotzdem: Man soll sich einlassen auf so etwas! Das Leben ist nun einmal wild und laut. (Stefan Ender, 22.12.2015)