"Es ist egal, wie wir es nun nennen. Das Wichtigste ist, dass die Zahl der Flüchtlinge zurückgeht." Diese Losung hat Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer erst in der Vorwoche auf dem Parteitag der Schwesterpartei CDU in Karlsruhe ausgegeben, um den Streit über Begriffe wie "Obergrenzen", "Kontingente" oder "Begrenzungen" zu beenden.
Nun hat das deutsche Innenministerium Zahlen bekanntgegeben, die Seehofer und auch vielen in der CDU gefallen dürften. Im Jahr 2015 hat sich die Zahl der abgeschobenen Asylwerber in Deutschland im Vergleich zum Jahr 2014 fast verdoppelt: von 10.884 auf 18.363 im Vergleichszeitraum Jänner bis November. Für Abschiebungen sind in Deutschland die Länder zuständig. Am "eifrigsten" ist dabei das schwarze Bayern, das bisher dreimal so viele Flüchtlinge wie im Jahr 2014 wieder zurückschickte. An zweiter Stelle liegt das schwarz-grün regierte Hessen, an dritter das grün-rot regierte Baden-Württemberg.
Keine Pause im Winter
Anders als in den Vorjahren ist für den Winter 2015/2016 auch kein sogenannter "Winterabschiebestopp" geplant. Die Frage nach einem Stopp zumindest während der Weihnachtsfeiertage wollte die stellvertretende deutsche Regierungssprecherin Christiane Wirtz nicht beantworten.
Im Herbst hatte Deutschland angesichts der täglich steigenden Flüchtlingszahlen seine Asylpolitik verschärft. Nach den Balkanstaaten Bosnien, Mazedonien und Serbien wurden auch Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Zudem werden Abschiebungen nicht mehr angekündigt, die Polizei taucht ohne Anmeldung bei den Betreffenden auf.
Der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, meint jedoch, die Länder müssten noch "viel konsequenter abschieben". Wenn man jetzt nicht handle, dann "entwickelt sich ein Rückstau". In Deutschland leben nach wie vor 190.000 Menschen, die eigentlich keine Bleibeberechtigung haben und ausreisepflichtig wären.
Bei den Neuankünften wurde in Deutschland Anfang Dezember längst die Marke von einer Million Menschen überschritten. Im Frühsommer war die deutsche Bundesregierung noch von 400.000 neuen Asylbewerbern ausgegangen, im Laufe des Sommers hatte sie ihre Prognose auf 800.000 korrigiert.
Wohnraum wird knapp
Angesichts der Zahlen warnt Deutschlands größer Immobilienkonzern Vonovia vor akuter Wohnungsnot in Großstädten. Vonovia-Chef Rolf Buch sagt: "Wir hatten schon vor der Flüchtlingskrise Engpässe vor allem in den Großstädten, jetzt explodieren diese Probleme. Dieses Land ist weder bautechnisch noch genehmigungstechnisch darauf vorbereitet, das kurzfristig zu stemmen."
Neuen Ärger gibt es in Berlin rund um das Landesamt für Gesundheit und Soziales, das unter seiner Abkürzung LaGeSo zum Synonym für Behördenversagen wurde, weil unzählige Flüchtlinge nächtelang im Freien ausharren müssen, bevor ihre Anliegen bearbeitet werden.
Die Boulevardzeitungen B.Z. und die Bild berichten, Sozialsenator Mario Czaja (CDU) habe 2013 Warnungen, dass Flüchtlingsunterkünfte in Berlin knapp werden, ignoriert. Anstatt für Quartiere zu sorgen, habe er mehrere infrage kommende Immobilien für Tabu erklärt, und zwar auf Drängen von CDU-Freunden, die in der Umgebung wohnten oder ihren Wahlkreis hätten.
Druck bekommt der Senat auch vom Berliner Landessportbund. Der will keine Turnhallen mehr für Flüchtlinge zur Verfügung stellen, weil er Mitgliederaustritte und Einnahmeeinbußen fürchtet. Von 1050 Hallen in Berlin sind 50 mit Asylwerbern belegt. (Birgit Baumann aus Berlin, 23.12.2015)