Stille Nacht, heilige Nacht, O du Fröhliche, Feliz Navidad. Weihnachtslieder rütteln auf, sagt Astrid Heine. Mit ihnen verbinde jeder und jede etwas, "eine Emotion, ein Erlebnis". Deswegen spielt die 28-Jährige derlei Lieder diese Tage gern für ihre Zuhörer: Wachkomapatienten.
Heine, geboren in Graz, ist Musiktherapeutin und beforschte für ihre Masterarbeit die Wirkung ihrer Therapie auf Menschen im Wachkoma. Interessiert habe sie schon immer "die Kombination zwischen Musik, Gesundheit und Mensch", sagt Heine, die berufsbegleitend am Department Health Sciences an der Fachhochschule Internationales Management Center (IMC) in Krems studierte.
Zum Forschungsprojekt sei sie "eher zufällig" gekommen: "Das Landesklinikum Hochegg wollte eine Pilotstudie durchführen, mein Studiengangsleiter hat mich gefragt, ob ich mich als Forschungsassistentin beteiligen möchte", sagt Heine. Die Untersuchung hatte einen neurowissenschaftlichen Fokus. "Diese Fragestellung war neu. Es gab schon Arbeiten dazu, wie Therapeuten Veränderungen im Verhalten von Patienten wahrnehmen – aber kaum darüber, was sich in der Physiologie, im Gehirn, tut."
Beschränkt hat sich das Forscherteam auf die Untersuchung dreier Hirnareale: Frontalhirn, Hippocampus und Kleinhirn. Sie verglichen zwei Patientengruppen miteinander. "Die eine hatte fünf Wochen lang Musiktherapie, die andere nicht."
Die Ergebnisse zeigten deutliche Veränderungen bei der Gruppe mit Musiktherapie, sowohl in den Gehirnscans als auch in ihrem Verhalten, das die Wissenschafter mittels Mikrovideoanalyse studierten: "Die Hirnaktivität ist in den untersuchten Arealen stark gestiegen." Die Patienten erschienen während der Musiktherapie deutlich wacher, ihre Atmung verlangsamte sich, und ihre Körperspannung nahm ab. Eine ihrer Patientinnen habe sogar tief geseufzt, sagt Heine. "Ein anderer hat die Augen weiter aufgerissen, so als wollte er sehen, was rund um ihn passiert."
Was die Musiktherapeutin für Patienten spielt? "Im Prinzip alles", sagt Heine, "auch Rock oder Pop. Es wird dann halt nicht so gespielt wie auf einer CD oder im Radio, sondern angepasst an den Patienten. Zum Beispiel werde ich mal leiser, mal lauter und warte seine Reaktion ab."
Besonders starke Regungen würde aber Musik auslösen, die Patienten gern gehört hatten. "Einer war etwa in Irland auf Urlaub und hat dort gern Harfenmusik gehört. Das habe ich für ihn gespielt." Bei einer anderen Patientin kamen Volkslieder zum Einsatz. "Einige ihrer Familienmitglieder waren in der Blasmusik und haben auch zu Hause viel musiziert." Über diese individuellen Präferenzen könne es gelingen, die Menschen "direkt mit der Musik anzusprechen", tiefe Emotionen bei ihnen auszulösen. "Emotionen sind auch das, was die stärkste Reaktion erzeugt. Sie werden wiederum häufig durch Erinnerungen hervorgerufen." Und an Weihnachten, daran habe jeder irgendeine Erinnerung, sagt die Musiktherapeutin.
Für ihre Masterarbeit erhielt sie den Würdigungspreis des Wissenschaftsministeriums. Künftig will Heine, die gerade mit ihrem ersten Kind schwanger ist, erforschen, wie Musik Neugeborenen den Start ins Leben erleichtern kann. (Lisa Breit, 23.12.2015)