Grünen-Mitbegründerin Freda Meissner-Blau ist im Alter von 88 Jahren verstorben.

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Günther Nenning und Freda Meissner-Blau im Februar 1991.

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Meissner-Blau im Jahr 2011.

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Meissner-Blau mit der Bürgerrechtlerin Angela Davis im Oktober 2015.

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Meissner-Blau bei der Unterschriftenübergabe der Aktion gegen-unrecht.at vor dem Bundeskanzleramt im Juni 2015.

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Wien – Ihre größten Erfolge hatte sie als Pensionistin: Mit 53 Jahren hatte sich Freda Meissner-Blau aus Gesundheitsgründen von ihrem Beruf als Bildungsreferentin der Mineralölverwaltung (damals ÖMV, heute OMV) zurückziehen müssen – sechs Jahre später war sie die erste Frau an der Spitze eines Parlamentsklubs. Politische Gegner versuchten, die krankheitsbedingte Frühpension der umtriebigen Umweltaktivistin zum Thema zu machen, als sich Frau Blau-Meissner (so der amtliche Name auf dem Stimmzettel) im Frühjahr 1986 der Wahl zum Bundespräsidenten stellte.

Geschadet hat es ihr nicht – am Ende wurde zwar Kurt Waldheim gewählt, die 259.689 Stimmen für die aktive Pensionistin waren allerdings der entscheidende Schub für die Einigung der damals völlig gespaltenen Grün-Bewegung.

Skeptische Basis, strahlende Kandidatin

Es war das Jahr, in dem Jörg Haider FPÖ-Chef wurde und Franz Vranitzky Bundeskanzler. Vranitzky beendete die rot-blaue Koalition; und die einzige Einigungsfigur der grün-alternativen Szene war "die Freda". Sie hatte im Präsidentschaftswahlkampf auch die letzten Winkel des Landes besucht. Sie war populär. Und sie hielt sich aus den unendlich zähen basisdemokratischen Einigungsdiskussionen der Szene heraus.

Starallüren warf man ihr an der Basis vor, Zickigkeit in Funktionärskreisen. Tatsächlich aber war "die Freda" viel kranker als es ihre Umgebung wusste. Sie hat mit sich und ihrer körperlichen Schwäche gerungen, als die Parlamentsliste erstellt wurde. Sie hat sich in letzter Minute doch auf den Wahlvorschlag (der sofort ihren Namen erhielt) setzen lassen, 4,82 Prozent errungen und an der Spitze von acht Abgeordneten die Führung des Grünen Klubs übernommen.

"Jeanne d'Arc der Grünen"

Sie war, heute undenkbar, die einzige Frau im ganzen Klub. Aber immerhin: Die "Jeanne d'Arc der Grünen", eine Bezeichnung, die ihr das Engagement gegen den Bau des Donaukraftwerks Hainburg 1984 eingetragen hatte, war am Ziel.

Nach vielen, vielen Umwegen: Geboren (und zeitweise aufgewachsen) in Dresden, wo sie den alliierten Brandbombenangriff im Jahr 1945 aus nächster Nähe miterlebte. Die Erfahrung machte die damals 18-jährige zur Pazifistin.

Sie absolvierte eine Ausbildung zur Krankenschwester, studierte Publizistik und Medizin, arbeitete mit ihrem ersten Mann Georges de Pawloff in Belgisch-Kongo und in Frankreich, wechselte dann als Generalsekretärin an das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien, ging 1968 zurück nach Paris und heiratete 1970 in zweiter Ehe Paul Blau.

Blau hatte als Chefredakteur der Arbeiter Zeitung Bruno Kreiskys Wahlerfolg von 1970 publizistisch mit vorbereitet, an Blaus Seite wurde Meissner-Blau Sozialdemokratin. Mit der SPÖ kam sie aber rasch in Konflikt, in der Debatte um das Kernkraftwerk Zwentendorf bezeichnete sie Handelsminister Josef Staribacher als "Lügner".

Der Hintergrund: Als Übersetzerin von Verträgen von Kraftwerksbetreibern war sie in den 1960er-Jahren auf das Problem des Atommülls gestoßen. Da habe sich ihr eines Tages die Gretchenfrage gestellt: "Und was macht man eigentlich mit den hochgiftigen Brennstäben?" Die Antwort – "Wir zerschneiden sie, umhüllen sie mit Glas, darüber einen Stahlmantel, darüber Beton, und dann schmeißen wir sie in den Ozean" – habe sie auf der Stelle zu einer Atomkraftwerksgegnerin gemacht. Und als solche trat sie nach ihrer Rückkehr nach Österreich 1972 vehement auf.

Protest gegen Zwentendorf und Hainburg

Die Proteste gegen das AKW und die 1978 hauchdünn gegen die Atomenergie ausgegangene Volksabstimmung waren der erste breite Erfolg der heimischen Umweltbewegung, die damals aus unterschiedlichsten Gruppen und Grüppchen bestand. Viele sind damals noch an die mit absoluter Mehrheit regierende SPÖ angedockt: Paul Blau hatte nach dem Volksentscheid vom 5. November 1978 die Bewegung "Sozialisten gegen Atomenergie" gegründet. So wurde der Protest dem Establishment nicht gefährlich.

Meissner-Blaus engagierte Auftritte brachten ihr einen Nebenjob als Moderatorin des "Club 2" im ORF ein. Sie agierte klug und engagiert – was bis zur Auseinandersetzung um Hainburg gutging. Unter der rot-blauen Regierung sollte die Hainburger Au mit einem Großkraftwerk zugepflastert werden. Auch Moderatorenkollege Günther Nenning war gegen das Kraftwerk (und damit die SPÖ-Parteiline), beide verloren sie den ORF-Job.

Beide kämpften weiter. Und wurden zu Leitfiguren für die jungen Leute, die im Winter 1984 die Au besetzten. In der Folge gelang es, die verschiedenen Grünen Gruppen auf Meissner-Blaus Parlamentsliste zu vereinigen.

In einem Interview sagte Meissner-Blau, die Sache mit den Grünen sei nur ein kleiner Ausschnitt in ihrem Leben gewesen – für die österreichische Politik war er aber der wichtigste.

Premiere im Nationalrat

Seit dem Einzug von FPÖ und der Liste "Kommunisten und Linkssozialisten" (die beide aus anderen Gruppen hervorgegangen waren) im Jahr 1956 waren 30 Jahre ohne neue Parteien im Parlament vergangen. Und die "Grüne Alternative – Liste Meissner-Blau", die 1986 mit 4,82 Prozent acht Nationalratssitze besetzen konnte, wirkte zunächst recht exotisch. Die Grünen hatten sich intensiv mit der Geschäftsordnung auseinandergesetzt und nutzten jede Gelegenheit, um aufzufallen: Nach kaum mehr als einer Minute der ersten Sitzung meldete sich Meissner-Blau als Klubobfrau zu Wort und verlangte eine Änderung der Tagesordnung, um einen zusätzlichen Ausschuss für Gesundheit und Umweltschutz einzusetzen. "Wir fühlen uns verpflichtet, unsere Möglichkeiten im Parlament so schnell wie möglich zu nutzen", heißt es in ihrer ersten Parlamentsrede am 17. Dezember 1986.

Ihr nächster Antrag betraf die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) im bayerischen Wackersdorf, es folgten Anträge zur Stärkung der Umweltkompetenzen des Bundes und zum Ausbau der direkten Demokratie. "Rasch zeigte sich jedoch, dass die Mauern des Hohen Hauses durch diese Antragsflut nicht so schnell zu erschüttern waren... Ausschusssitzungen sind nicht selten reiner Pflanz", heißt es in dem Buch "Die Republik im Fieber", mit dem die Grünen nach einem Jahr im Parlament eine erste Bilanz ihrer Arbeit vorlegten.

Zwei Jahre im Parlament

Parlamentarismus ist zäher als er von außen aussieht. Und er raubt Kräfte. Meissner-Blaus Zeit im Parlament betrug nur knapp zwei Jahre: Am 6. Dezember 1988, wenige Tage nach einer Klubklausur in Altlengbach, wo sie eine politische Neuaufstellung des Parlamentsklubs gefordert und durchgesetzt hatte, legte Meissner-Blau alle Funktionen zurück.

Vieles von dem, was Meissner-Blau in ihren Parlamentsreden gesagt hat, könnte auch heute noch passen – weil es nämlich viel grundsätzlicher klang als die meisten Reden im Hohen Haus: "Österreich ist ein Fremdenverkehrsland, doch es leistet sich den Luxus, die Grundlage des Fremdenverkehrs, unsere Landschaft, unsere Berge, unsere Wälder, durch Übererschließung zu ruinieren", sagte die Klubchefin am 29. Jänner 1987. Immerhin fiel es den Medien auf, wenn jemand im Parlament so etwas sagte. Es war halt neu. Und wenig wirksam – denn die Regierungsparteien hörten gezielt weg.

Verlorener Schwung

Dieser Schwung, den die Grünen damals ins Parlament gebracht haben, ist längst dahin – und Meissner-Blau hat es schmerzlich getroffen, dass die Parlamentarisierung der grünen Bewegung dieser gleichzeitig die Frische und Radikalität genommen hat. Zuletzt fand sie es schön, dass die Grünen in den meisten Ländern zur Regierungspartei aufgestiegen sind – die Fehler, die dabei passiert sind, hat sie aber registriert. Hat sie angesprochen, wenn man sie gefragt hat. Aber sie hat sich nicht mehr selber eingemischt.

Soweit es ihre Gesundheit nach einer schweren Herzoperation und vielen weiteren Spitalsaufenthalten zugelassen hat, hat sie sich als Schriftstellerin betätigt und ihre Kritik in Gedichte gefasst. Nicht alles hat sie veröffentlicht – gegen Ende ihres Lebens empfand sie es als Luxus, keine Projekte mehr verfolgen und abschließen zu müssen. Nun ist Meissner-Blau im Alter von 88 Jahren am Dienstagabend im privaten Kreis verstorben. (Conrad Seidl, 23.12.2015)