Bisher hat Michael Bohmeyer an 25 Personen ein bedingungsloses Grundeinkommen für zwölf Monate verlost. Wir müssen Arbeit und Einkommen voneinander trennen, wenn wir weiterhin gut leben wollen, sagt er.

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STANDARD: Was bedeutet Grundeinkommen für Sie?

Bohmeyer: Grundeinkommen bedeutet für mich die Freiheit, Nein sagen zu können. Nicht nur die Wahl zu haben, wie man sich zu Markt trägt, sondern ob man es überhaupt tut.

STANDARD: Was muss dadurch finanziert werden?

Bohmeyer: Es gibt Kriterien von internationalen Gremien. Es muss existenzsichernd sein und ein Leben lang ausgezahlt werden – und zwar an alle. Was genau existenzsichernd bedeutet, darüber gibt es verschiedene Vorstellungen. Wir haben der Einfachheit wegen 1000 Euro pro Monat genommen. Meiner Meinung nach ist das nicht genug, um in Deutschland gut leben zu können, aber es ist ein Anfang.

STANDARD: Wie kamen Sie auf die Idee, an fremde Leute für ein Jahr Grundeinkommen zu verlosen?

Bohmeyer: Ich habe das Glück, dass ich selbst ein Grundeinkommen beziehe. Ich habe eine Internetfirma gegründet, und nach vier Jahren Arbeit daran läuft sie so gut, dass ich seit 2014 eine kleine Gewinnausschüttung von 1000 Euro im Monat erhalte, ohne dass ich dafür arbeiten muss. Das hat mein Leben ziemlich verändert.

STANDARD: Können Sie die Veränderungen näher erläutern?

Bohmeyer: Ich bin kreativer und mutiger geworden. Ich habe mehr Zeit für Reflexion und lebe gesünder – und ich bin vielleicht sogar ein besserer Vater geworden. Es ist ein Wahnsinn, was sich alles ändert, weil Arbeit und Einkommen voneinander getrennt wurden. Ich wollte ausprobieren, ob das bei anderen Menschen genauso wirkt.

STANDARD: War das der Fall?

Bohmeyer: Es hat gewirkt. Bei fast allen Gewinnern hat sich durch die Veränderung im Materiellen auch etwas im Bewusstsein gewandelt. Die Leute berichten, dass sie besser schlafen und enger mit ihren Familien und ihrem Umfeld zusammenrücken. Aber trotzdem hat niemand aufgehört zu arbeiten – bis auf einen Fall. Ein Mann hat im Callcenter gekündigt, um eine Ausbildung zum Erzieher zu machen. Sonst machen alle dasselbe wie vorher, aber sie machen es entspannter, gesünder und besser.

STANDARD: Wie werden die Grundeinkommen finanziert?

Bohmeyer: Über Crowdfunding. Dafür haben schon 30.000 Menschen Geld gegeben. Aber wichtig ist, dass es keine Voraussetzung dafür ist, um an den Verlosungen teilzunehmen und ein Grundeinkommen zu erhalten.

STANDARD: Wie viele Leute nehmen an den Verlosungen teil?

Bohmeyer: Mittlerweile sind es schon mehr als 160.000 Menschen.

STANDARD: Grundeinkommen für alle – ein Konzept, das sich Ihrer Ansicht nach realisieren lässt?

Bohmeyer: Ja. Ich glaube sogar, dass es früher oder später auf jeden Fall kommen wird. Wir stehen vor einem massiven Umbruch am Arbeitsmarkt. Denn durch die Digitalisierung wird sich die Arbeitswelt krass verändern, weil viele Jobs wegrationalisiert werden. Das hat zwar in der Geschichte immer so stattgefunden, und dann sind neue Jobs für die Menschen entstanden, jetzt ist es aber ein bisschen anders. Wir bekommen Computer, die menschenähnlich denken können, womit Menschen an vielen Stellen unnötig werden. Zum Beispiel selbstfahrende Autos: Sie sind intelligenter, kostengünstiger und fahren Tag und Nacht unfallfrei, damit kann ein Mensch nicht konkurrieren.

STANDARD: Was passiert dann?

Bohmeyer: Solange Menschen mit Maschinen konkurrieren müssen, drückt das die Löhne. Das geht eine Weile, aber irgendwann ist Schluss. Dann setzen sich die Maschinen durch, und es droht Massenarmut. Dann hat keiner mehr Geld in der Tasche, um die von den Maschinen produzierten Dinge zu kaufen, was das gesamte System destabilisieren würde.

STANDARD: Grundeinkommen für alle wäre Ihrer Ansicht nach die Lösung?

Bohmeyer: Wir steuern auf eine Gesellschaft zu, in der die Produktion nicht mehr der limitierende Faktor ist. Deshalb müssen wir Arbeit und Einkommen voneinander trennen, wenn wir weiterhin gut leben wollen. Dazu ist Grundeinkommen der beste Weg, denn Menschen brauchen zum Überleben nach wie vor Geld.

STANDARD: Wie lange wird es dauern, bis wir an diesen Punkt kommen?

Bohmeyer: Das kann ich nicht einschätzen. Man weiß zwar, was alles möglich ist, aber es dauert dann doch immer etwas länger. Weil Menschen Dumpinglöhne mit sich geschehen lassen müssen, geht die Technologisierung nicht so schnell voran, wie sie könnte. Nehmen wir als historisches Beispiel die Dampfmaschine. Die gab es schon vor der industriellen Revolution, aber es hat sich zuerst gar nicht gelohnt, sie einzusetzen, weil Menschen die Arbeit so billig gemacht haben. Gerade weil es kein Grundeinkommen gibt, entwickelt sich alles ein bisschen zäher, aber das passiert auf Kosten der Menschen durch Ausbeutung.

STANDARD: Sie planen, künftig auch lebenslange Grundeinkommen zu verlosen. Ist das schon spruchreif?

Bohmeyer: Noch nicht ganz. Die Idee ist, dass Leute ein lebenslanges Grundeinkommen erhalten und sich verpflichten, einen Teil ihres Einkommens zurück in den Gemeinschaftstopf zu werfen. Dafür brauchen wir eine Startfinanzierung, wir sind gerade dabei, diese zu besorgen. Seriös darüber sprechen kann ich erst, sobald wir sie haben.

STANDARD: Wie viele Personen arbeiten an dem Projekt Grundeinkommen?

Bohmeyer: Wir sind derzeit inklusive meiner elf Leute, die in Berlin in einer Bürogemeinschaft arbeiten und dafür bezahlt werden.

STANDARD: Werden deren Gehälter auch von der Crowd finanziert?

Bohmeyer: Genau, die Leute spenden nicht nur für das Grundeinkommen, sondern auch für den Verein dahinter. Man kann angeben, wie viel Geld wohin fließen soll. Dadurch können wir die Arbeit an dem Projekt auch vernünftig bezahlen.

STANDARD: Was bedeutet für Sie vernünftig?

Bohmeyer: Wir haben ein interessantes Modell, wir machen Gehaltsverhandlungen mit allen öffentlich. Wir setzen uns in einen Kreis, und jeder sagt, was zum Leben benötigt wird. Dann summieren wir das und schauen, ob sich das ausgeht. Ich finde es okay, wenn Leute unterschiedliche Bedürfnisse haben – aber der Verein muss es sich auch leisten können. (Alexander Hahn, 26.12.2015)