Die Räume des Moë in der Thelemangasse 4 waren fünf Jahre lang ein beliebter Veranstaltungsort. Für die Berliner Volksbühne wurden sie als Kulisse eins zu eins nachgebaut. Übrigens ungefragt.

Walter Mair, Christoph Marthaler, Anna Viehbrock

Wien – 2014 war es, als das Moë, Bühne für Kunst, Musik und Performance, selbst einmal auf der großen Bühne stand. Gewissermaßen. Denn Bühnenbildnerin Anna Viebrock hatte die große Halle des Wiener Kulturvereins – samt Flügel, Empore und Hochsitz (ein Kunstwerk von Stefan Kreuzer) – eins zu eins nachgebaut und auf die Volksbühne verpflanzt, als Kulisse für Christoph Marthalers Tessa Blomstedt gibt nicht auf.

Der Titel des Stücks ist jetzt gewissermaßen programmatisch. Denn dem vom Verein Picapica betriebenen Moë droht Ende Dezember die Delogierung. Der aktuelle Besitzer, der Immobilienentwickler Vestwerk, will den gesamten Gebäudekomplex in der Thelemangasse 4, die ehemalige k. u. k. Orden- u. Medaillenfabrik Mandelbaum und das gründerzeitliche Vorderhaus, aufwerten. Unter anderem sollen hier "in einer der zukünftig angesagtesten Wohngegenden Wiens" Luxuslofts entstehen.

"Angesagt" ist das Grätzel vielleicht noch nicht ganz, aber die vom Hernalser Gürtel abzweigende Straße ist ebenso wie die Fabrik in die Literaturgeschichte eingegangen: Ewigkeitsgasse heißt der biografische Roman von Frederic Morton (1924-2015), der auf Hausnummer 8 aufgewachsen war. Sein Großvater Bernhard Mandelbaum hatte das Eisenwarenunternehmen einst gegründet; nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten emigrierte Frederic, damals noch Fritz Mandelbaum, mit seiner Familie über England nach New York.

Bis zu 15.000 Besucher

Allein das sollte der Stadt Wien, findet Moë, Grund genug sein, die Gebäude als kulturellen Ort zu erhalten. 2010 begann das Moë hier, initiiert von Studierenden der Akademie der bildenden Künste, einen Knotenpunkt verschiedener Kulturdisziplinen zu schaffen. Erst fanden sporadisch Veranstaltungen statt, insbesondere baulich war viel zu tun. Aber in den vergangenen zwei Jahren gab es hier drei bis fünf Veranstaltungen pro Woche, mit 10.000 bis 15.000 Besuchern pro Jahr.

Szene aus Christoph Marthalers "Tessa Blomstedt gibt nicht auf" an der Berliner Volksbühne. Das Moë war Vorlage für Anna Viehbrocks Bühnenbild.
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Mit Jahresende läuft ihr Vertrag aus, aber Moë will bleiben. "Kulturarbeit lässt sich vom Thema Immobilienspekulation nicht trennen", sagt Alisa Beck, derzeit Obfrau des Kulturvereins, auch mit Blick auf die betroffenen Nachbarn mit den unbefristeten Verträgen. Denen, die mit viel selbstausbeutendem Engagement das Moë betreiben und auch eine Petition gestartet haben, gehe es darum, dass diese Räume für etwas anderes genutzt werden sollen als für luxuriöse Wohnungen.

"Es ist ein leistbarer Arbeits- und Ausstellungsraum für Kunst, Performance, Tanz, Musik – mit Nähe zum Zentrum. Kultur braucht Räume. Aber wo sind die? Welche gibt's noch?" Vergleichbare Orte in der Gegend, der Ragnarhof, das Gschwandner oder Das Werk, haben – aus unterschiedlichen Gründen – zugesperrt. Sich in der Brunnenpassage (einem Vorzeigeprojekt von Kulturstadtrat Mailath-Pokorny) einzumieten sei für viele Leute einfach zu teuer.

Vorbild Hamburg

Derzeit hofft man auf die Stadt. Dass die zum einen einmal anerkenne, was das Moë hier im Bezirk leistet. "Es ist ein beweglicher Raum der freien Szene, den Wien unbedingt braucht!" Mailath hatte ja zuletzt gegenüber der APA eine "Taskforce für kulturelle Stadtentwicklung" angekündigt, hält die Bespielung von Stadtteilen abseits des Zentrums für essenziell. Gebe es ein entsprechendes Commitment, so habe die Politik auch Möglichkeiten, auf Vestwerk und deren Pläne einzuwirken, sagt Beck.

Temporäre Ersatzobjekte, wie sie auch Vestwerk angeboten habe, sind für sie allerdings keine zufriedenstellende Lösung: "Zwischennutzung ist immer prekär." Aus der Kulturabteilung heißt es, man schätze Moë und die Arbeit, die dort passiert. Daher würde man den Verein auch mit Fördermitteln bedenken. Beim Raumproblem hat aber auch die Stadt nur Ersatzobjekte im Sinn: Moë solle sich doch an die 2016 startende Agentur für Zwischennutzung (siehe Artikel) wenden. Nur hat der Verein seinen Wunschort schon gefunden. Was also tun?

Hausbesetzer-Rhetorik wolle man in der Thelemangasse keine bedienen. Es gehe darum, das Haus nicht zu-, sondern aufzumachen. Bespielen statt besetzen. Vorbild sei das Gängeviertel in Hamburg, das zu einem Symbol gegen Gentrifizierung geworden ist. 2009 begann man dort – inzwischen erfolgreich –, das Viertel vor Verfall und Abriss zu retten. Mit Ausstellungen, Konzerten, Partys, Lesungen und Diskussionen über Stadtentwicklung etablierte man in der Hamburger Innenstadt einen Raum, in dem Neues entstehen kann.

Baumängel und Mietrückstände

Was die Gesprächsbasis zwischen Moë und Immobiliengesellschaft allerdings beeinträchtigt, ist der Vorwurf, der Verein habe erhebliche Mietrückstände. Fakt ist, nach dem ersten Winter war den Kulturschaffenden klar: "So geht es nicht." Der Wind pfiff durch die Räume, es regnete herein; die erheblichen Mängel wurden in einem Schlichtungsverfahren dokumentiert.

Gemeinsam mit dem damaligen Anwalt Klaus Fischer (von dem der Verein erst später erfahren haben will, dass er auch Partner bei Vestwerk sei) machte man, noch unter dem Vorbesitzer, eine Mietzinsreduktion geltend. Die seither bezahlte Summe sei auch nach dem Verkauf an Vestwerk lange nicht beanstandet worden; erst circa drei Jahre später sei eine Mahnung hereingeflattert. Die Betreiber des Moë geben sich weiterhin gesprächsbereit, aber ohne politischer Unterstützung werde es schwierig. (Anne-Katrin Feßler, Stefan Weiss, 24.12.2015)