Wien – Der kürzeste Heiratsantrag, den man aus der Literatur kennt, stammt von Wilhelm Busch: "Mädchen, – spricht er – sag mir ob – / Und sie lächelt: Ja, Herr Knopp!"
Nun hören sich manche solcher Reime bei Busch ziemlich schräg an, aber dennoch provozieren sie Gelächter. Dabei ist Buschs Komik immer näher an der Katastrophe als bei der Idylle. Hans Huckebein erhängt sich aus Versehen. Max und Moritz enden als Entenfutter.
Mit Humor oder gar Heiterkeit hat das alles nichts zu tun. Buschs Komik entfaltet sich in Regionen, in denen die Moral nicht zu Hause ist. Dennoch werden immer wieder alle Klischees über ihn aufgewärmt. Aber als im Spätherbst 1865 die "kleine Kinder-Epopöe" (Busch) der "beiden bösen Buben" erstmals erscheint – in einer Auflage von 4000 Stück, gedruckt auf Holzdruckstöcken mit zarter Schablonenkolorierung -, ahnte niemand, dass dieses Werk einmal die Welt erobern würde.
Seitdem wurde Max und Moritz weltweit viele Millionen Mal verkauft – und in rund 200 Sprachen übersetzt. Aber kaum einer wusste, wie eng auch diese Bildergeschichtenstreiche durch die Jugenderinnerungen ihres Autors beeinflusst sind.
Der Autor als Einzelgänger
"Mein Lebenslauf ist bald erzählt. In stiller Ewigkeit verloren / Schlief ich, und nichts hat mir gefehlt, / Bis dass ich sichtbar ward geboren", heißt es in seiner Grabschrift, die sich Busch selbst zu Lebzeiten, als Gedenkgedicht zu seinem 75. Geburtstag, seinem letzten, geschenkt hat.
Aufgewachsen in Wiedensahl, einem Kaff bei Hannover, wurde er vom neunten Lebensjahr an von einem Onkel mütterlicherseits erzogen, dem Pastor Georg Kleine. Busch erfuhr bereits sehr früh Heimatlosigkeit und wurde darüber zum Einzelgänger. Später wird er sich nur an zwei Erfahrungen erinnern: wie der Vater ihn schlägt und wie er, Wilhelm, mit der Großmutter morgens früh zusammen in der stillen, warmen Küche sitzt.
Nun sind es eben auch "böse Kinder", von denen Busch in dieser "Bubengeschichte" berichtet, zwei stupsnasige Knaben, keine Unholde. Aber sie machen sich lustig über "weise Lehren", wollen sich nicht zum "Guten bekehren" und sind zu jeder "Übeltätigkeit" bereit". In sieben Streichen ärgern die beiden Jungen die Mitbewohner ihres Dorfes – mit einer Hinterlist, die das Gewohnte völlig auf den Kopf stellt. Den Dörflern passieren merkwürdige Vorkommnisse. Tote Hühner hängen im Baum und verschwinden wieder spurlos, kaum dass sie gebraten sind. Eine Brücke kracht zusammen, eine Pfeife explodiert, Maikäfer krabbeln unter einem Plumeau hervor – und aus einem löchrigen Getreidesack quellen die Körner heraus.
Max und Moritz machen sich wieder und wieder strafbar. Tierquälerei, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Diebstahl – und jetzt schwere Körperverletzung. Busch lässt die beiden Tunichtgute nach Lust und Laune agieren und Schaden anrichten, behält sich aber als Ich-Erzähler eine Vorhersage in der Reserve: "Aber wehe, wehe, wehe! / Wenn ich auf das Ende sehe!"
Schuld und Sühne
Das signalisiert dem Leser: Die Sache kann nicht gutgehen. Bis es aber zum Finale kommt, machen sich Max und Moritz in gewohnter Manier mausig. Sie setzen Onkel Fritz Maikäfer ins Bett, und der führt bei seinem nächtlichen Vernichtungskampf gegen die Insekten ein bizarres Ballett auf: "Onkel Fritz in dieser Not / Haut und trampelt alles tot. / Guckste wohl! Jetzt ist's vorbei / Mit der Käferkrabbelei."
Mit der Spitzbüberei hat es aber noch kein Ende. Max und Moritz haben den Dorfbäcker als nächstes Opfer ausgespäht. Über den Kamin gelangen sie in sein Haus, fallen aber dann in die Mehlkiste, klettern weißbestäubt auf einen Stuhl, der unter ihnen zerbricht, und stürzen in eine mit Teig gefüllte Form.
Das ist der Anfang von ihrem Ende. Der zurückkehrende Bäcker greift die in Teig eingehüllten Lausbuben, formt sie zu Brot und schiebt sie in den Ofen. Innerhalb kürzester Zeit durchleben Max und Moritz eine beängstigende Metamorphose – zuerst verwandeln sie sich in Brot, vom Mehl über den Teig und das Backen bis zum Verzehr. Nun wird aber kurzer Prozess mit beiden gemacht. Bauer Mecke erwischt sie, bringt sie zum Müller, der sich nicht lange mit Fragen nach Schuld und Sühne aufhält, sondern sie sogleich in der Mühle zu kleinen Stücken zermahlen lässt, die dann an die zwei Enten des Müllermeisters verfüttert werden.
"Wat geiht meck dar an?"
Fragen nach dem Tod der beiden Kinder und nach diesem brutalen Fall von Selbstjustiz bescheidet der Müller mit den Worten: "Wat geiht meck dar an?" Und auf die Frage des Lesers, ob es sich bei der Geschichte von Max und Moritz um ein spätes Bekenntnis früher Schelmerei handle, antwortet Busch: "Du fragst, ob Max und Moritz eine wahre Geschichte sei. Nun, so ganz wohl nicht. Das meiste ist bloß so ausgedacht, aber einiges ist wirklich passiert, und denn, dass böse Streiche kein gutes Ende nehmen, da wird sicher was Wahres dran sein." (Wolf Scheller, 24.12.2015)