Zwischen Achterbahn und Hippodrom: Karoline (Sarah Sophia Meyer) in Volksfeststimmung im Kreise potenterer Herren.

Foto: Lupi Spuma

Graz – Schön ist so ein Ringelspiel, macht viel Spaß und kost' net viel. Für Kasimir aber zu viel. Gestern als Chauffeur gekündigt, ist er heute mit seiner Karoline auf dem Oktoberfest, doch kann er ihr nur mehr wenig bieten. Zusammen sind sie gekommen, getrennt voneinander werden sie den unheiligen Eifer dieser Nacht wieder verlassen, die ihn zum Autoknacker und sie zum Mädel eines Fabrikanten gemacht haben wird.

Denn während Nico Link als melancholischer Kasimir von der Rampe aus über das Leid des Arbeiters deklamiert ("immer ehrlich, fleißig, gewissenhaft, und trotzdem bin ich abgebaut"), macht Sarah Sophia Meyer als überdrehte Karoline etwa in der Achterbahn und im Hippodrom die Bekanntschaft anderer, potenterer Herren wie des Kindermäntelherstellers Rauch. Auch ohne Stirntoupet ist der umtriebige Clemens Maria Riegler im Pelzkragenmantel eine passablere Partie für die junge Frau, als Kasimir es war.

Zwischen Eis und Hau-den-Lukas

Wann immer sich die einst Liebenden zwischen Eis und Hau-den-Lukas kurz nun wiedertreffen, findet man doch nur immer weiter aneinander vorbei. Die auf die Bühne gestellte, abschüssige Wiesn-Wiese (Peter Schickart), auf der das geschieht, illustriert das soziale Gefälle der sich hier Tummelnden und ihre emotionale Schieflage als Gründe dafür nur allzu gut. Zum Zuschauerraum hin, den die Darsteller auch erobern, umkränzt eine Hundertschaft von surrenden Glühbirnen den Bühnenrahmen: Das macht das Tragische noch tragischer, die Heiterkeit noch verzweifelter.

1932 wurde Ödön von Horváths Kasimir und Karoline uraufgeführt. Ein Volksstück über das Kleibürgertum, hinter dem die Weltwirtschaftskrise von 1929 liegt – und an dessen Horizont für manche der Nationalsozialismus als Hoffnung dämmert. "Unsere Generation wird immer geopfert", tut etwa dem Kleinkriminellen Merkel Franz seine Erna ihren Unmut kund – die Zeppeline, die als Zeichen des Fortschritts über den Himmel ziehen, sind den jungen Leuten unerreichbar, Schnaps ist ihnen näher.

Weitsichtigkeit

Man kann Horváths Text getrost als weitsichtig betrachten. Bis ins Heute, da die Sicherheiten des Lebens für viele nach Jahren des Booms wieder außer Greif- und Sichtweite rücken. Hierhin holt Regisseur Dominic Friedel das Geschehen vor allem mit Musik. Aktuelle Pop- und Discosongs sind die Anheizer seiner Volksfeststimmung "unserer Zeit." Das macht zwar Laune, ist aber auch schade, insofern in Friedels ohnehin nur knapp 90-minütiger Textfassung einiges an Horváth'schem Dialogwerk zum Opfer gefallen ist.

So kommt einem dieser Abend mit seinen vielen lustigen und schönen Szenen sowie seinem charmanten, einsatzfreudigen Ensemble (die Übungen: Mantel anziehen mit Frau über der Schulter, Pferdchenreiten, Polka poltern, den Tod tanzen) in manchen Momenten doch etwas programmatisch in seinem politischen Aufklärungswillen vor. Hier hätte man durch Streichen aktualisieren und dem nachgeborenen, der Historie kundigen Publikum durch weniger Explikation mehr Spannung und Anreiz geben können, selbst seine Schlüsse (und Vergleiche zur Gegenwart) zu ziehen.

Und die Liebe? Ein vor dem Hintergrund der sozialen Bedingungen eher bedrohter und verschwindender Vordergrund des menschlichen Daseins. (Michael Wurmitzer, 24.12.2015)