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Linz – Starke Zweifel im Glauben, aber ein hohes Bedürfnis, sich mit Religion auseinanderzusetzen: Das prägt das Verhältnis der wahlberechtigten österreichischen Bevölkerung zur Religion. 61 Prozent geben an, dass sie sich durch die Konfrontation mit dem Islam dazu veranlasst sehen, mehr über Religion nachzudenken.

In der heurigen Weihnachtsumfrage ließ das Linzer Market-Institut für den STANDARD auch erheben, ob Religiosität die Welt nach Einschätzung der Österreicher besser oder schlechter macht. 33 Prozent folgten der Ansicht, dass die Welt besser wäre, wenn niemand religiös wäre; diese Meinung vertreten vor allem Menschen unter 50.

Die extreme Gegenmeinung, dass die Welt besser wäre, wenn alle Menschen religiös wären, vertreten nur 20 Prozent; hier gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen Zustimmung zur Religiosität und dem Alter der Befragten.

Kirche hat Deutungshoheit verloren

Was die Kirche zu sagen hat, interessiert die meisten Österreicher nicht mehr: Nur jeder 50. Wahlberechtigte sagte bei einer repräsentativen Umfrage des Linzer Market-Instituts, dass die katholische Kirche die richtigen Antworten in unserer Zeit zu bieten hätte. Weitere zwölf Prozent sagten, die Aussagen der Kirche seien "eher schon" richtig.

Aber 47 Prozent meinen, was die Kirche sagt, sei eher weniger richtig, 35 Prozent lehnen die kirchlichen Aussagen ganz ab.

Es geht auch kaum mehr jemand regelmäßig in eine Messe.

44 Prozent mindestens einmal in der Messe

Der STANDARD ließ fragen: "Wann haben Sie zuletzt einen Gottesdienst besucht?" Nur neun Prozent sagten, sie hätten am vergangenen Sonntag einen Gottesdienst besucht, weitere 24 Prozent haben das in den vergangenen drei Monaten getan und elf Prozent früher in diesem Jahr. Selbst von jenen zwölf Prozent, die sich als "in der Kirche engagiert" bezeichnen, geht nur die Hälfte am Sonntag zur Heiligen Messe. Trost für die Gläubigen: Immerhin 77 Prozent lehnen die Aussage ab, dass Gebete reine Zeitverschwendung wären. Aber 39 Prozent sagen: "Ich selber bete nie."

Die Umfrage wurde eine Woche vor Weihnachten durchgeführt und hatte auch Fragen zum Weihnachtsfest zum Inhalt. Und das glauben die Österreicher:

  • Weihnachten hat für mich keine religiöse Bedeutung – das sagen 31 Prozent, wobei jüngere Befragte deutlich stärker dieser Aussage zuneigen als ältere.
  • Sehr konsensfähig ist dagegen: Weihnachten ist für mich ein Fest des Friedens, der Versöhnung – das sagen 85 Prozent.
  • Ähnlich deutlich, nämlich von 82 Prozent geteilt, wird die Meinung: Weihnachten ist der Geburtstag von Jesus Christus, während 19 Prozent Jesus nur als literarische Figur, die nie gelebt hat, sehen.
  • Weihnachten ist einer der wenigen Anlässe, wo ich mich als Christ fühle – dem stimmen 33 Prozent zu.
  • Und nur 41 Prozent halten es für wichtiger, zu Weihnachten zu beten als zu Weihnachten Geschenke zu bekommen.

Kaum Glaube an Himmel und Hölle

Überhaupt die Glaubensfragen: Die Grafik dokumentiert, dass die Österreicher eher den Tieren eine Seele zutrauen (78 Prozent) als den Menschen (55 Prozent). Und nur jeder vierte Befragte gab an, dass man durch Gottes Gnade in den Himmel kommen könnte – an eine quasi "höllische" Strafe für das Böse, das man auf Erden getan hat, glauben gar nur 16 Prozent.

"Das heißt aber nicht, dass die Menschen in Österreich von der Religion und der Religiosität völlig entfremdet wären. Vier von fünf Österreichern sind mit bekennenden Christen befreundet, jeder Vierte auch mit einem bekennenden Muslim und jeder Achte mit einem bekennenden Juden, obwohl der jüdische Bevölkerungsanteil bei uns ja nicht sehr hoch ist", erläutert der Market-Chef Werner Beutelmeyer, selbst ein Protestant.

Verbreiteter Agnostizismus und Atheismus

Beutelmeyer erläutert, dass die am weitesten verbreitete Haltung der Agnostizismus ist: "58 Prozent sagen uns, dass man Gott ohnehin nicht erkennen kann – das sagen die erklärten Kirchgänger und die in der Kirche engagierten Menschen übrigens auch. Wir haben auch gefragt, ob es ein Weiterleben nach dem Tod gibt – und da haben sogar einige der Kirchgänger geantwortet, dass nach dem Tod nichts mehr kommt."

Recht weit verbreitet ist auch der Atheismus, also die Überzeugung, dass es keinen Gott gäbe: 29 Prozent sagen, dass erwachsene Menschen wissen sollten, dass es Gott nicht gibt. Beutelmeyer: "Das sagen vor allem die Jüngeren und viel eher die Männer als die Frauen. Das Religionsbekenntnis verschwindet langsam aus der Gesellschaft. Da gibt es wohl so eine Haltung, dass Religion Kinderkram wäre – man sieht das schön beim Glauben an das Christkind: Da sagen drei Viertel, dass Kinder ans Christkind glauben sollten."

Papst Franziskus holt gegen Dalai Lama auf

In der von Market wiederholt gestellten Frage, welcher Religionsführer "ein vertrauenswürdiger Vermittler von Inhalten ist, die für das Leben wichtig sind", hatte in früheren Umfragen stets der Dalai Lama deutlich geführt. Bei der in der Vorwoche durchgeführten Umfrage liegen Papst Franziskus und der Dalai Lama mit 58 beziehungsweise 59 Prozent praktisch gleichauf.

Deutlich dahinter steht Kardinal Christoph Schönborn mit 29 Prozent Zustimmung und 71 Prozent ausdrücklicher Ablehnung. Noch weniger wird Fuat Sanaç (zwölf Prozent), dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, dem Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg (zehn Prozent) und dem evangelischen Bischof Michael Bünker (acht Prozent) zugetraut, Relevantes für das eigene Leben zu sagen zu haben. (Conrad Seidl, 24.12.2015)