Evin Timtik zu Beginn ihres Hungerstreiks Ende Oktober. Setzt sie diesen weiter fort, drohen ihr laut Ärzten unwiederbringliche Gesundheitsschäden.

foto: anatolische föderation österreich

Wien – Der Mittwoch war der 65. Tag, an dem Evin Timtik, politischer Flüchtling und Asylberechtigte aus der Türkei, nur Wasser und Vitaminpräparate zu sich nahm. Mit ihrem inzwischen akut gesundheitsgefährdenden Hungerstreik protestiert die 35-jährige Linke dagegen, dass ihr das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) keinen neuen Pass ausstellt.

"Ich bin in den unbefristeten Hungerstreik getreten, um meinen Asylpass und meine Reisefreiheit zurückzugewinnen", verkündete Timtik Ende Oktober in einem Flyer. Schon davor hatte sie seit 21. August vor dem Wiener Passcenter des BFA sitzgestreikt.

De facto Ausreiseverbot

Seit März, als ihr erster, wenige Monate nach der Asylgewährung 2009 ausgestellter Konventionspass auslief, habe sie de facto Ausreiseverbot aus Österreich, schrieb Timtik. Und sie habe keinerlei Dokumente zur Vorlage vor hiesigen Behörden, etwa bei einer Ausweiskontrolle.

Eine Bestätigung, dass sie in Österreich asylberechtigt ist und daher eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung hat, sei ihr von der Fremdenpolizei verweigert worden: "Soweit ich weiß, bin ich bisher die einzige Asylberechtigte, die auf diese Art zu Schaden kam."

Radikale Linke

Timtiks Anwalt Clemens Lahner sieht die Hintergründe der Passversagung kritisch. Diese, so erläutert er im STANDARD-Gespräch, fuße auf polizeilichen Informationen über die radikale türkische Linke. So würden deutsche Sicherheitsbehörden der Anatolischen Föderation, die auch in Österreich einen Verein betreibt und die Hungerstreikende unterstützt, ein Naheverhältnis zur türkischen Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKP-C) unterstellen. Die DHKP-C steht auf der Liste der Terrororganisationen der EU. In der Türkei hat sie sich seit 2001 immer wieder zu Anschlägen und Attentaten bekannt.

"Nebulöse" Erkenntnisse

Doch was das mit Timtik zu tun habe, sei unklar, sagt Lahner. Auch die ihm bekannten Erkenntnisse des österreichischen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) seien diesbezüglich "nebulös".

Angeblich stehe Timtik auf einer Liste "potenzieller Selbstmordattentäter" aus der türkischen Linken, die die türkischen Polizei den deutschen – und diese wiederum den österreichischen – Sicherheitsbehörden übermittelt haben soll.

"Von Polizei hingerichtet"

Timtik selbst weist derlei Vorwürfe zurück: "Es sollte inzwischen international bekannt sein, dass in der Türkei bereits zahlreiche Menschen, die für demokratische Rechte kämpften und der Regierung unliebsam waren, als 'Selbstmordattentäter' lanciert und in der Folge sogar von der Polizei hingerichtet wurden", schreibt sie. Auch sie selbst sei in Gefahr gewesen. In Österreich habe sie deshalb Asyl bekommen.

Dass die Türkin in Österreich keinen weiteren Pass erhalten werde, hatte ihr das BFA Ende Mai beschieden. Laut ihrem "hiesigen Fremdenakt" bestehe die Vermutung, dass sie den Pass benützen werde, um "die innere und äußere Sicherheit Österreichs zu gefährden", hieß es in dem Schreiben unter Berufung auf Paragraf 92 des Fremdenpolizeigesetzes, der die Regeln zur "Versagung eines Fremdenpasses" definiert.

Unbescholtene Timtik

Das Bundesverwaltungsgericht, wo Lahner sich in der Folge beschwerte, gab Timtik Ende Oktober Recht. Es hob den BFA-Spruch auf: Die Frau sei in Österreich und anderen Ländern – von der Türkei abgesehen – unbescholten. Zudem habe ihr das BFA keine Gelegenheit zur Akteneinsicht und somit zur Wahrung ihrer Interessen und Rechte gegeben.

Die Gründe für die Passversagung seien daher unüberprüfbar. "Das BFA muss nun von Neuem entscheiden", sagt Lahner. (Irene Brickner, 24.12.2015)