Die EU-Kommission hat Mittwochabend ungewöhnlich rasch und in scharfer Form auf die jüngsten Entscheidungen der neuen nationalkonservativen Regierung in Polen beim Umbau des Verfassungsgerichts reagiert. In einem Schreiben an Außenminister Witold Waszczykowski und Justizminister Zbigniew Ziobro, das dem STANDARD vorliegt, fordert Vizepräsident Frans Timmermans umgehend Aufklärung über die Hintergründe der Entscheidungen sowie deren vorläufiges Aussetzen.
Wie berichtet will die Regierung im Eilverfahren drei ihr politisch nicht genehme Verfassungsrichter austauschen und durch eigene Gefolgsleute ersetzen. Das polnische Parlament beschloss am Mittwoch in einem Schnellverfahren Gesetze, die die Geschäftsordnung des Höchstgerichts in diesem Zusammenhang verändern sollen.
Richterabberufungen "ungültig"
Die Kommission hält dazu fest, dass sie das als "ungültig" betrachte. Auch die vorzeitige Abberufung des Präsidenten des Gerichtshofs wie seines Stellvertreters durch die Regierung erachte man als "ungültig" – ganz so, wie es das Gericht selbst erklärt hatte.
Der luxemburgische Außenminister und derzeitige EU-Ratsvorsitzende Jean Asselborn hatte deshalb zuvor Maßnahmen der EU verlangt, weil die polnische Regierung Verfassung und Demokratie ausheble. In seinem Brief erklärt Timmermans nun, dass auch die EU-Kommission den europäischen Wertekodex wahrscheinlich verletzt sieht. Er ist für Grundrechte in der EU zuständig und macht seine Ministerkollegen darauf aufmerksam, dass die Union eine Rechtsgemeinschaft sei, die "Herrschaft des Rechts ein gemeinsamer Wert sei, auf dem die Union aufgebaut" sei. Daher lege die Kommission besonderes Augenmerk "auf Veränderungen, die die Integrität, Stabilität und das gute Funktionieren eines nationalen Verfassungsgerichtshofs untergraben könnten".
Timmermans bezieht sich ausdrücklich auf ein Erkenntnis der polnischen Verfassungsrichter selbst, die die Nachnominierung dreier Richter durch die neue Regierung als irregulär einstuften. Solange das nicht geklärt sei, müssten alle weiteren Entscheidungen unterbleiben, erklärte der Stellvertreter von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er erwarte, sofort über den Stand des Verfahrens informiert zu werden.
Eine solche Erklärung der Kommission gegenüber einer Regierung eines Mitgliedslandes ist selten, wobei der scharfe Ton diesmal besonders auffällig ist. Zuletzt hatte es ähnlich Schritte gegenüber der ungarischen Regierung unter Premier Viktor Orbán gegeben. Auch dabei war es um ein verfassungsrechtlich bedenkliches Eingreifen beim Höchstgericht und in die Medienfreiheit gegangen. Auch die polnische Regierung kündigte bereits Schritte zum Mediengesetz an. (Thomas Mayer, 23.12.2015)