Bethlehem im Dezember: Künstliche Riesentanne vor eingerüsteter Geburtskirche

Foto: Segenreich

Sich von den Kämpfen des Alltags loslösen und sich friedlichen Gedanken hingeben – darin mag der Sinn von Weihnachten liegen, doch gerade die "Weihnachtshauptstadt der Welt" schafft das nie, und dieses Jahr noch weniger denn je.

Samir Hasboun, Leiter der Handelskammer von Bethlehem, sagt es klipp und klar: "Das ist nicht nur eine religiöse Feier, das ist auch ein nationaler Feiertag für alle Palästinenser." Der Spagat zwischen Religion und Politik ist im Geburtsort Jesu allgegenwärtig.

Die Glaskugeln an dem großen künstlichen Weihnachtsbaum vor der Geburtskirche glänzen in den Farben der palästinensischen Flagge. Vor dem "Peace Center" gleich daneben bietet in einem Schaukasten ein "Touristenführer über die Besatzung" politische Informationen aus palästinensischer Sicht.

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Pilgerin in der Geburtskirche.
Foto: REUTERS/Ammar Awad

Und vor dem Rathaus, am Ende des Krippenplatzes, steht seit drei Tagen eine Art Mahnmal mit dem Aufruf: "Befreit Ahmed Manasra." Gemeint ist ein 13-jähriger Palästinenser, der im Oktober mit seinem 15-jährigen Cousin in Jerusalem ein Messerattentat auf ungefähr gleichaltrige Israelis verübt hat – der Cousin wurde erschossen, Ahmed wurde verletzt und ist in Haft.

"Es ist fast Weihnachten, und es gibt keine Leute", jammert Aboud Eschkerat, der in einem Laden am Altstadtmarkt Souvenirs verkauft, "Sie sehen es ja selbst, die Stadt ist leer, seit dem Morgen haben wir vielleicht zwei, drei Kunden gehabt." Ab und zu keucht doch eine Reisegruppe vom Busbahnhof zur Geburtsbasilika herauf, es dominieren nicht sehr kaufkräftige Gäste aus Russland, Rumänien oder Schwarzafrika.

Kein erbaulicher Anblick

Die Kirche selbst, wegen nicht enden wollender Restaurationsarbeiten in Metallgerüste verpackt, bietet keinen erbaulichen Anblick, aber Edvin Atkwasse, ein "Born Again Christian" aus Uganda, ist trotzdem glücklich, die Grotte zu sehen, wo der Überlieferung nach Jesus Christus zur Welt kam: "Das ist sogar mehr, als wir erwartet haben, wir sind ganz aufgeregt!"

Dass der anscheinend unlösbare Konflikt mit Israel und die Straßensperren die Wirtschaft abwürgen und alle Zukunftshoffnungen begraben, darüber klagen hier Fremdenführer, Geschäftsleute und Funktionäre. Bis Mitte 2014 habe es immer neue Rekorde bei den Übernachtungszahlen gegeben, rechnet Tourismusministerin Rula Maayah vor, doch dann brachte der Gazakrieg einen Einbruch von gut 60 Prozent. Von dem hatte man sich noch nicht erholt, als vor drei Monaten der palästinensische "Messerterror" in Jerusalem, in anderen israelischen Städten und im Westjordanland begann. Das Ende ist nicht abzusehen, und es regnete natürlich wieder Absagen.

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Ein Palästinenser dekoriert einen Baum in Bethlehem mit leeren, rot gefärbten Tränengas-Granaten.
Foto: EPA/ABED AL HASHLAMOUN

Mit ihren Signalen sind Maayah und ihre Landsleute im altbekannten Dilemma: Die Lage sei wegen der Besatzung und der Zusammenstöße mit den israelischen Soldaten unerträglich, will man die Welt wissen lassen, im gleichen Atemzug heißt es aber auch, Bethlehem wäre für Besucher beinahe ein Paradies. "Das ist kein Widerspruch", erläutert die Ministerin, "wir sind ein Staat unter Besatzung, was bedeutet, dass wir unser Land nicht kontrollieren. Aber wenn ich sage, dass Palästina sicher ist, dann meine ich, dass in Jahrzehnten bis heute einem Touristen hier noch nie etwas passiert ist."

Vor den heurigen Weihnachten war zu entscheiden, inwieweit man auf die düstere Lage doch Rücksicht nehmen muss: Aus Sicht der Palästinenser sind die meist jungen Leute, die bei Angriffen mit Messern oder Autos auf Israelis getötet werden, "Märtyrer", um die man trauert.

Kirchenglocken statt Feuerwerk

Die Führung in Ramallah hat die Empfehlung ausgegeben, das Festprogramm zu reduzieren. "Doch wir haben beschlossen, dass alle Ereignisse wie die Paraden, die Konzerte, das feierliche Entzünden des Weihnachtsbaums wie geplant stattfinden", sagt Vera Baboun, die katholische Bürgermeisterin von Bethlehem, "nur das Feuerwerk haben wir gestrichen und läuten stattdessen die Kirchenglocken." Die palästinensischen Christen, vor Jahrzehnten im Raum Bethlehem noch deutlich in der Mehrheit, stellen hier inzwischen nur noch rund 25 Prozent der Bevölkerung. Viele sind ausgewandert, und die Geburtenrate ist niedriger als bei den Muslimen.

Maryam Kassis, im Nachbarort Bet Sahour zu Hause, will sich ihr Weihnachtsfest nicht verderben lassen: "Ich drehe den Fernsehapparat ab und versuche, glücklich zu sein und alles rundherum zu vergessen", sagt die 23-jährige Mutter, die sich für ihre zehn Monate alte Tochter Carla "ein Leben in Frieden und ohne Angst" wünscht. Im Wohnzimmer steht schon eine prächtig geschmückte Tanne, jetzt ist Maryam zwei Wochen lang sehr beschäftigt, weil es bei griechisch-orthodoxen Christen Brauch ist, vor Weihnachten alle Verwandten zu besuchen und von ihnen besucht zu werden. Früher ist Maryam vor Weihnachten auch immer zu einem Gottesdienst nach Jerusalem gefahren, aber heuer traut sie sich nicht, obwohl sie eine Genehmigung hat.

Eine indische Pilgerin mit ihrem Baby vor der Stelle in der Geburtskirche, wo nach christlichem Glauben Jesus auf die Welt kam.
Foto: AFP PHOTO/ MUSA AL SHAER

Ist trotz aller Probleme die Lage der Christen im Heiligen Land nicht viel besser als jene an anderen Orten in der Region, wo ganze Christengemeinden verschwinden? "Ja, die Christen hier werden nicht massakriert, weil es wegen der Besatzung keinen Bürgerkrieg geben kann", sagt Makram Qumsieh, Palästinenser mit jordanischem und kanadischem Pass, in Bet Sahour zu Hause und als Unternehmer in der arabischen Welt weit herumgekommen. Aber als Christ im Nahen Osten stehe man vor einem zweischneidigen Schwert: "Der Westen sieht mich als Palästinenser, und die Muslime sehen mich als Christen. Eine Minderheit braucht Sicherheit und politische Stabilität, sonst wird sie immer leiden." (Ben Segenreich aus Bethlehem, 24.12.2015)