Damit konnte ja niemand rechnen: Maria und Josef stehen heuer leibhaftig und in großer Zahl vor der Herberge. Alle Jahre wieder wird mit viel Pathos unterm Weihnachtsbaum und in den Kirchen die Geschichte von der Herbergssuche erzählt. Es wird auch diesmal wieder Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen gewünscht. Nur dass diesmal all das eine andere, direktere Bedeutung hat, der man sich nicht entziehen kann. Denn diese Flüchtlinge sind tatsächlich da – nicht nur im fernen Morgenland, sondern auch in unserem Abendland. Und es gibt keinen Frieden auf Erden, stattdessen Kriege und bewaffnete Konflikte in Syrien, Afghanistan, Nigeria und anderen Ländern, die auch uns betreffen.

Zum ersten Mal kam der Krieg in Syrien näher durch 71 tote Flüchtlinge, die im August erstickt in einem abgestellten Lkw im Burgenland gefunden wurden. Tod auf der Flucht – auf unserer Autobahn, nicht im Mittelmeer, wo jeden Tag Dutzende sterben. Aber das ist weit weg. Was sich im Innern des Transporters abgespielt hatte, konnte sich jeder vorstellen, das ging nahe. Dieser Schock wirkte auch auf politisch Verantwortliche: Grenzen wurden geöffnet, Schleppern zumindest kurzzeitig die Grundlage für Geschäfte mit Menschen in Not entzogen.

Seither kommen die Flüchtlinge zu Fuß über die Grenze in unser Land: zu Hunderten, zu Tausenden, zu Zehntausenden. Die meisten wollen weiter, aber viele wollen hier bleiben. Da heißt es zusammenrücken und teilen – christliche Tugenden, die gerade zur Weihnachtszeit gerne beschworen werden. Aber diesmal ist es konkret, und dann wird es schnell eng. Dass in dieser und jener Herberge kein Platz ist, die Geschichte der Abweisung, die Maria und Josef erlebt haben, wiederholt sich mehr als zweitausend Jahre später, und das zigfach.

Wenn Lokalpolitiker am Tag vor Weihnachten zu Demonstrationen und Blockaden von Autobahnen aufrufen, weil die Innenministerin Kasernen für die Unterbringung von Flüchtlingen nutzen will, bleibt zumindest zu hoffen, dass die Weihnachtsbotschaft bei allen anderen wirkt – und dass diejenigen, die auf diese Weise mobilmachen, dann hoffentlich nicht die Verlogenheit besitzen, bei einem Krippenspiel aufzutauchen oder von Nächstenliebe zu faseln.

Niemand kann sich dem Thema Flüchtlinge entziehen, jeder hat eine Meinung dazu. Aber nicht jeder hat sich selbst ein Bild gemacht. Viele kennen diese Menschen nur aus dem Fernsehen, fällen Urteile von den Stammtischen und Wohnzimmersofas aus. So breitet sich Verunsicherung aus, denn das Fremde macht Angst. Dazu kommen die menschliche Skepsis gegenüber Veränderung, Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten, die Angst vor dem Abstieg, vor Jobverlust, vor dem Unverständlichen, dem anderen Aussehen, dem Kopftuch, anderen Gebräuchen und Speisen.

Die Flüchtlinge brauchen einen Platz: nicht im Stall, aber in Kasernen, Turnsälen und Ferienlagern. Das sind nur Übergangsquartiere, es gibt jedoch leerstehende Wohnungen, für die der Bund die Kaution übernehmen könnte. Notwendig sind viele kreative Lösungen, ein Zusammenarbeiten und Zusammenrücken. Nähe schafft auch Verständnis.

Die Weihnachtsgeschichte ist heuer Wirklichkeit, sie wird gerade neu erzählt. Und jeder kann seinen Beitrag dazu leisten, dass die eigentliche Bedeutung von Weihnachten wieder ins Zentrum rückt und gelebt wird. (Alexandra Föderl-Schmid, 23.12.2015)