Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner machen nicht den Eindruck, als ob sie dicke Freunde wären. Müssen sie auch nicht sein. Sie machen auch nicht den Eindruck, dass sie mit der Meinung des anderen übereinstimmen. Müssen sie auch nicht, genauer: Das sollten sie auch nicht.

Denn Faymann und Mitterlehner stehen für Parteien, die ein grundsätzlich verschiedenes Politikverständnis, eine grundsätzlich andere Vorstellung von einer besseren Welt haben, die zu gestalten sie angetreten sind. Die ÖVP hat ihre Grundsätze heuer in einem neuen Programm festgelegt. Die SPÖ diskutiert ihre Programmreform noch mit der Basis – aber dass da allzu viel Überschneidung mit dem neuen Wiener Programm der ÖVP herauskommen wird, braucht man nicht zu befürchten. Das ist gut und hilfreich für die Wähler; die wollen schließlich wissen, wofür die Parteien stehen, die sie wählen.

Es ist aber auch frustrierend für dieselben Wähler, die nach einer Wahl erleben, dass diese beiden so unterschiedlichen Parteien immer wieder zusammenfinden, um miteinander das Land zu verwalten. Für einen SPÖ-Wähler ist das viel zu wenig linke Handschrift in der Regierung zu spüren. Und für einen ÖVP-Wähler viel zu wenig rechte.

Den Parteichefs und ihren Getreuen bleibt nicht viel anderes übrig, als den unruhigen eigenen Wählern und Funktionären zu versichern, dass man ohnehin das Maximum herauszuholen versuche. Und das muss dann im öffentlichen Streit mit dem Koalitionspartner bewiesen werden.

Dabei geht viel an Kraft verloren, die die beiden jeweils nur noch 25 Prozent starken Parteien eigentlich im eigenen Lager – jenseits der Funktionäre und Stammwähler – bräuchten, um sich als die dominierende Kraft jeweils links und rechts der Mitte durchzusetzen und die dort lauernden Oppositionsparteien klein zu halten.

Und es geht Kraft verloren, die eine Einparteienregierung oder auch eine aus Kräften desselben Lagers gebildete Koalition für Reformen aufwenden könnte.

Andererseits: Eine klar ausgerichtete Koalition kann zwar einen schärferen Reformkurs fahren – um den Preis, dass noch mehr Menschen vor den Kopf gestoßen werden. Man hat beides unter Bruno Kreisky und noch mehr unter Wolfgang Schüssel erlebt. So gesehen hat Bundespräsident Heinz Fischer recht, wenn er die Regierung milder beurteilt, als das in der österreichischen Öffentlichkeit üblich ist. (Conrad Seidl, 28.12.2015)