Dem Olympiasieger Anton Innauer kann manches, das heute den Spitzensport tangiert, gestohlen bleiben.

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STANDARD: Der ehemalige Rapid-Trainer Ernst Dokupil hat den Sager "Fußball ist ein Scheißspiel" getätigt. Frage: Was soll dann erst ein Skispringer oder Skisprungtrainer sagen?

Innauer: Stimmt. Ähnliches hab ich mir in Bezug auf das Skispringen auch schon ein paarmal gedacht.

STANDARD: Und Sie werden nicht der Einzige sein. Man hat das Gefühl, nirgendwo sonst gibt es ein vergleichbares Auf und Ab, sind Seriensieger plötzlich weg vom Fenster, tauchen so oft Eintags- oder auch Einetourneefliegen auf. Wieso ist das Skispringen ein derart eigener, spezieller Sport?

Innauer: Die Frage nach den Ursachen des In-Form-Seins, nach dem Nicht-genau-Wissen, was die Auslöser sind – diese Frage ist so alt wie das Skispringen selbst.

STANDARD: Dass es läuft, weil es läuft, dient auch in anderen Sportarten gern als Erklärung. Wieso schlägt das Pendel im Skispringen oft besonders stark aus?

Innauer: Weil sich in diesem Sport kleine, kleinste Unterschiede gleich einmal in ein paar Metern ausdrücken. Das erklärt die Auffälligkeit. Letztendlich ist das Skispringen nicht nur Sport, sondern eine Kunst und nicht bis ins letzte Detail steuerbar. Das ist das Erschütternde und das Schöne.

STANDARD: Sie reden von Gefühlen. Ist im Skispringen mehr Gefühl als in anderen Sportarten gefragt?

Innauer: Es ist eine irrsinnige Gefühlssache. Es geht um das richtige Gespür für Nuancen in einem pfeilschnellen Bewegungsablauf. Es geht darum, Luft zu kriegen. Und da spielen auch die Gegner mit. Wenn einer von den Wahnsinnigen so gut in Form ist, dass es mit dem Anlauf nach unten geht, dann macht er dir die Arbeitsbedingungen kaputt. Dann kriegst du keine Luft mehr.

STANDARD: Kommt erschwerend dazu, dass sich Skispringer permanent umstellen müssen? Man hat das Gefühl, dass es jede Saison neue Regeln gibt, was die Länge der Ski oder das Gewicht der Springer angeht.

Innauer: Flexibilität ist natürlich ein großes Thema. Aber wenn einer in Form ist und Selbstvertrauen hat, denkt er nicht groß über neue Regeln nach.

STANDARD: Hätte aber, nur zum Beispiel, einem Gregor Schlierenzauer nicht klar sein müssen, dass es mit dem Gewinnen nicht ewig weitergehen kann? Er vermittelt den Eindruck, als wäre er darauf gar nicht vorbereitet.

Innauer: Er hat immer versucht zu optimieren, und es ist immer eine sehr gute Leistung herausgekommen. Das war es, was er gelernt und verinnerlicht hat, zehn Jahre lang. Da ist es logisch, dass er seine Erwartungen hat. Wenn die nicht erfüllt werden, ist er überrascht, enttäuscht. Andere tun sich in einer solchen Situation leichter, weil sie schon gelernt haben, dass die Rechnung nicht immer aufgeht. Bei ihm muss jetzt eine Entwicklung stattfinden, die bislang nicht notwendig war.

STANDARD: Schlierenzauer ist, obwohl erst 25, schon lange im Geschäft und hat fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Olympisches Einzelgold fehlt ihm noch, darauf bekommt er erst 2018 wieder eine Chance.

Innauer: Ich will und kann nicht spekulieren. Bei mir war es so, dass ich mit 22 schon das Gefühl hatte, alles erreicht zu haben. Die innere Flamme lodert dann nicht mehr so. Geld haben wir damals auch keines verdient. Wenn Skispringen wirklich dein Beruf ist, hast du vielleicht ein anderes Motiv, um weiterzumachen.

STANDARD: Denken Sie manchmal, dass Sie lieber heutzutage Spitzensportler wären?

Innauer: Eigentlich nicht. Wir haben den Sport auf eine natürliche, gesunde Art erlebt. Heute kann man gut verdienen, das hat schon etwas Positives. Aber es ist ja auch die Frage, wie du dich neben der Schanze weiterentwickelst. Manches, das heute den Spitzensport tangiert, kann mir jedenfalls gestohlen bleiben.

STANDARD: Was genau meinen Sie?

Innauer: Dass viele Spitzensportler glauben, ständig twittern zu müssen, sich äußern und zu allem ihre Meinung sagen zu müssen, um sich eine anonyme Masse von Followern und Likern gefügig zu machen, das kann mir gestohlen bleiben. Noch dazu weiß ich ja nicht einmal, ob das einer selbst schreibt oder ob das ein anderer für ihn schreibt.

STANDARD: Wie schwierig ist es für einen Spitzenskispringer heute, für die Zeit danach zu planen? Nicht jeder kann ORF-Experte oder Trainer werden.

Innauer: Trainer werden außerdem oft Springer aus der zweiten Garnitur, die es nicht ganz geschafft haben. Aktuell ist Heinz Kuttin die Ausnahme, er war sehr erfolgreich, aber auch noch in einer Zeit, in der man längst nicht aussorgen konnte.

STANDARD: Ihnen war, trotz aller Erfolge, immer klar, dass Sie nachher noch etwas tun müssen, um über die Runden zu kommen. Bringen die aktuellen Möglichkeiten mit sich, dass sich gut verdienende Sportler weniger Gedanken über ihre Zukunft machen?

Innauer: Die, die heute gut verdienen, verwalten später oft ihre Immobilien. Das ist auch ein Leben. Es gibt genügend Menschen, die das Erbe ihrer Eltern verwalten. Im Sport gibt es jetzt halt auch immer mehr, die verwalten, was sie selbst verdient haben. Zu meiner Zeit gab's diese Möglichkeit noch nicht, aber mir würde auch etwas abgehen. (Fritz Neumann, 28.12.2015)