"Journalisten sind keine Terroristen", lautet ein Slogan bei einer Solidaritätsdemonstration für inhaftierte Presseleute in Istanbul.

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Istanbul/Athen – "Der Sultan straft, der Sultan rettet." Wie Harun al-Raschid in "Tausendundeine Nacht" oder der Kalif al-Hakim in Kairo, der sich seinerzeit an Festtagen angeblich verkleidet unters Volk zu mischen pflegte, lässt der türkische Staatschef Tayyip Erdoğan die Bürger seine Macht spüren.

Einen Mann, der vergangenen Freitag von der Bosporusbrücke in Istanbul springen wollte, ließ Erdoğan zu seinem Fahrzeug bringen und redete ihm kraft seiner Autorität schnell den Selbstmord aus. Der Konvoi des Präsidenten, auf dem Weg von Üsküdar, wo Erdoğan sein Freitagsgebet verrichtete, zum Yildiz-Palast, der neuen Residenz des Staatschefs auf der europäischen Seite Istanbuls, war zufällig in die Szene geraten.

Streit um Zitat

Die Schreiber im Land haben längst eine andere Seite des Präsidenten kennengelernt. Erdoğan klagt mittlerweile persönlich wegen Amtsbeleidigung oder Terrorverdacht. Sein jüngstes Ziel ist Sedat Ergin, Chefredakteur des Massenblatts "Hürriyet", das zum Doğan-Konzern gehört und nicht Teil der regierungsfreundlichen Medienwelt in der Türkei ist.

Ergin soll sich für die Wiedergabe eines Zitats Erdoğans verantworten, das vergangenen September während einer Interviewrunde mit dem Staatschef im Fernsehen fiel und noch während der Sendung auf der Onlineseite der Zeitung wiedergegeben wurde. Erdoğan sieht seine Äußerung verzerrt dargestellt. Die Klage, die Erdoğans Anwälte nun einreichten, könnte dem Chefredakteur eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren und vier Monaten einbringen.

Mindestens 20 Journalisten in Haft

Nach dem Vorfall mit dem Zitat war ein Mob zweimal vor das Verlagsgebäude von "Hürriyet" und "Radikal", einer liberalen, mittlerweile nur noch online erscheinenden Zeitung des Doğan-Konzerns, in Istanbul gezogen. Der erste Angriff, bei dem Steine geworfen wurden und die Menge "Doğan, du Hund, stelle unsere Geduld nicht auf die Probe" skandierte, war von einem jungen Politiker der regierenden AKP angeführt worden. Abdurrahim Boynukalin ist nun Vizeminister für Jugend und Sport.

Türkischen Medienberichten zufolge sind derzeit 34 Journalisten in Haft. Nach Schätzung des Internationalen Presseinstituts IPI in Wien, von dem ein Team vergangenen Oktober in der Türkei war, dürfte die Zahl um die 20 liegen. Seither wurde der Chefredakteur der Tageszeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, festgenommen, was internationale Proteste auslöste. Auch gegen ihn klagte der türkische Staatspräsident. (Markus Bernath, 28.12.2015)