Drogen und Sex: Aomi Muyock (Electra) und Karl Glusman (Murphy) vereint im Liebesrausch.

Alamode Film

Gaspar Noé, Filmemacher mit Skandalpotenzial.

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STANDARD: Nach "Love 3D" habe ich mich gefragt, ob das der richtige Titel ist. Geht es nicht eigentlich um Erfahrungen, die Liebe zerstören?

Noé: Das Wort Liebe haben wir gewählt, weil es in unserer Kultur so maximal verwendet wird. In vielen Sprachen gibt es unterschiedliche Worte für verschiedene Formen der Liebe. In diesem Sinn ist da also was dran: Love handelt eigentlich von Leidenschaft, davon, wie Liebe zur Sucht wird, wie sie jemanden blind macht. Die Geschichte beginnt romantisch, endet aber sehr fleischlich. Liebe ist ein riesiger Stress, weil man es ohne die geliebte Person kaum aushält. Liebe ist so ein Wort wie Leben, das trägt auch sehr viel in sich. Der Film hätte aber auch einfach "Mann" heißen können.

STANDARD: Worin liegt der Vorteil, davon in 3-D zu erzählen?

Noé: 3-D fügt ein Gefühl von Intimität hinzu. Ich habe eine Weile mit 3-D-Kameras gespielt und wollte immer einmal ein erotisches Melodram in 3-D probieren. Einen Monat vor dem Dreh erfuhr ich, dass Frankreich neuerdings Projekte in 3-D eigens fördert. Da habe ich gleich zugeschlagen.

STANDARD: Das "3-D" steht also nicht als eine schräge Metapher für die Dreiecksbeziehung im Film?

Noé: Nein, aber es gibt einen Aspekt, der schon eine Rolle spielt: Die Bildlichkeit von 3-D hat etwas Kindisches, es ist, wie wenn man ein neues Spielzeug bekommt. Und das ergibt eine Nähe zur Verliebtheit.

STANDARD: Die sehr freizügigen Sexszenen verweisen auf einen Zukunftstraum: dass es irgendwann perfekte virtuelle Darstellungen des intimen Akts geben könnte. Quasi die Vollendung des Pornografischen.

Noé: Das würden wir erst so erleben, wenn man keine Brillen oder keinen Datenhelm mehr braucht. Eines Tages kann man vielleicht Bilder in den Raum stellen, und dann kann man sich der Illusion hingeben, man könnte Gestalten, die uns bisher im klassischen Kino auf der Leinwand als groß wie ein Gebirge gezeigt werden, fast schon berühren.

STANDARD: Wie stark war der Film vorab geplant? Man gewinnt als Zuschauer den Eindruck eines starken ästhetischen Willens und gleichzeitig einer großen Unmittelbarkeit.

Noé: Das Drehbuch war sieben Seiten lang und hatte keinen Dialog. Ich dachte an einen Film in 20 verschiedenen Versionen und ließ mich beim Drehen vom Gefühl leiten. Manchmal habe ich von hinter der Kamera eingegriffen, manchmal haben wir eine Stunde an 30 Sekunden gearbeitet. Die Schauspieler luden Figuren, mit denen man sie wirklich nicht verwechseln darf, mit ihrem Charisma auf.

STANDARD: Das Thema der weiblichen und männlichen (Un-)Fruchtbarkeit scheint Sie stark zu interessieren. Ist das die Kehrseite der Ekstase beim Sex, oder macht es Sex erst so richtig spannend, dass er Folgen haben kann?

Noé: Ich kenne viele Freunde, die mehr oder weniger zufällig Kinder bekommen haben. So was legt ganze Leben in Trümmer, da kannst du alle Pläne und Projekte eine Weile vergessen. Ich glaube aber nicht, dass das dem Sex einen besonderen Reiz gibt, dass es ihn gefährlicher macht. Electra und Murphy kommt irgendwann der Unterschied zwischen Sex und Drogen abhanden, das ist das Wesentliche.

STANDARD: War Lars von Trier ein Feigling, als er im Abspann von "Nymph()maniac" ausdrücklich festhielt, dass alle Sexszenen mit Body-Doubles gedreht wurden, dass wir also nicht die Geschlechtsteile von Stars sehen?

Noé: Finde ich nicht. Charlotte Gainsbourg war auch so sehr mutig, dass sie das gemacht hat, aber es wäre zweifellos reizvoller gewesen, wenn er es weniger klargemacht hätte. Es war wohl notwendig, um seine Stars zu schützen.

STANDARD: Die Zeitstruktur ist ähnlich wie in "Irreversibel" (2004), auch hier wird rückwärts erzählt.

Noé: Die zwei Geschichten entstanden auch zur selben Zeit. Ursprünglich wollte ich Love mit Vincent Cassel und Monica Bellucci machen, die haben dann aber abgewunken, sie hatten damals große Probleme mit Stalkern. Wir hatten aber das Geld, also machten wir Irreversibel. Bei diesem Film ist die Zeitstruktur sehr konzeptuell, in Love geht es eher darum, wie ein Gehirn mit Erinnerungen umgeht.

STANDARD: Sie sagen selbst, der Film könnte auch "Mann" heißen. Murphy leidet, "Love" nimmt sehr ungebrochen seine Perspektive ein. Machen Sie eher Filme für Jungs?

Noé: Murphy ist kein junger Werther. Ich zeichne ihn nicht als Idol. Vielleicht sieht er sich als coolen Typen, aber vermutlich stammt er aus einer Suburb in Amerika. Ich sehe ihn als Fortführung der Figur aus Irreversibel und des Partymonsters aus Enter the Void. Wir sehen übrigens niemals einen Film, den er dreht – er spricht von Kubrick, kauft Plakate, aber er wird wohl niemals einen Film machen, er sieht sich nur als angehenden Filmemacher. Er ist ein Loser. Ab Freitag im Kino (Bert Rebhandl, 29.12.2015)