Zwei jüngste Umfragen des unabhängigen Median- Meinungsforschungsinstituts und meine persönlichen Eindrücke in Budapest lassen auf die Gründe schließen, warum der 52-jährige Regierungschef Viktor Orbán im Sinne von machtpolitischen Erfolgen nicht nur in seiner Heimat, sondern auch in der europäischen Kategorie als der erfolgreichste Politiker, als "der Mann des Jahres" 2015, betrachtet werden kann.

Dass er am Parteitag der Regierungspartei Fidesz 1174 von 1177 Delegiertenstimmen bei der Wahl des Vorsitzenden bekommen hat, ist nur ein winziger Bruchteil seines Erfolges. Es handelt sich um viel mehr. Die erste Umfrage zeigt nämlich, dass Fidesz derzeit, anderthalb Jahre nach der letzten Parlamentswahl, mit 51 Prozent der zum Urnengang entschlossenen Wähler und mit 34 Prozent der gesamten Bevölkerung ungefährdet die ungarische Politik beherrscht. Seit November 2014 stieg die Unterstützung für die Partei um acht Prozentpunkte, und die Beliebtheit Orbáns sprang von 32 Prozent auf 48 Prozent.

Die zerstrittene Phantomopposition von links stirbt unaufhaltsam ab. Die potenzielle Gefahr von extrem rechts, die Jobbik-Partei, wurde, zumindest zeitweilig, erfolgreich isoliert. Sie bleibt zwar mit Abstand die stärkste Oppositionskraft, allerdings verzeichnete sie einen Rückgang von 16 Prozent auf 13 Prozent bei den entschlossenen Wählern.

Diese Daten sind deshalb so erstaunlich, weil Orbán vor knapp einem Jahr durch Massenproteste zur Rücknahme einer umstrittenen Internetsteuer gezwungen wurde, Fidesz wegen Korruptionsvorwürfen bei zwei Nachwahlen Niederlagen hinnehmen musste und sogar die parlamentarische Zweidrittelmehrheit einbüßte. Das alles scheint Schnee von gestern zu sein.

Orbán hat wieder einmal sein politisches Fingerspitzengefühl bewiesen. In der globalen Flüchtlingskrise hat er bereits von Juni 2015 an mit einer massiven Kommunikationskampagne auf die Angst vor und die Abneigung gegen muslimische Flüchtlinge gesetzt. Ungarn zählte 2015 insgesamt 449.199 illegale Grenzübertritte, aber nach dem Bau von Zaunbarrieren, der Anwendung von Tränengas gegen Flüchtlingsmassen und dem zügigen Weitertransport nach Österreich und Kroatien sank ihre Zahl von 141.858 im September auf 1729 im November. Der Europarat, das UN-Flüchtlingskommissariat und die OSZE riefen die ungarische Regierung vergeblich auf, Flüchtlinge nicht weiter als "Kriminelle, Invasoren und Terroristen" zu brandmarken.

Im Gegensatz zur einhelligen Ablehnung der ungarischen (und slowakischen, tschechischen und polnischen) Abschottungspraxis durch Kardinal Christoph Schönborn, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundeskanzler Werner Faymann bejahen 87 Prozent der Ungarn (auch der Schriftsteller György Konrád!) den Regierungskurs; 77 Prozent meinen, die Aufnahme der Flüchtlinge erhöhe gesundheitliche Risiken und die Gefahr des Terrorismus. Die Rechnung Orbáns ging auch international voll auf. Er kann sich zu Recht darauf berufen, dass die von sozialdemokratischen Politikern regierten Staaten wie die Slowakei und Tschechien und erst recht Kaczynskis Polen ihn als Vorreiter und Vorbild feiern. (Paul Lendvai, 28.12.2015)