Auferstanden aus selbstgemachten Ruinen: In Berlin wächst anstelle des Palastes der Republik aus Zeiten der DDR der neue Kulturtempel in Gestalt des neuen alten Stadtschlosses.

Foto: Stiftung Berliner Schloss / Humboldtforum

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Ausstellungsmacher und Historiker von Weltrang: der Schotte Neil MacGregor.

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Es war ein kulturpolitischer Coup ersten Ranges, als die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters im April dieses Jahres den Schotten Neil MacGregor als Mitglied der Gründungsintendanz des Berliner Humboldtforums vorstellte. Ein Ausstellungsmacher von Weltgeltung, ein Historiker von Rang, der seit 2002 sehr erfolgreich das British Museum geleitet hatte, soll für die Berliner Mitte ein plausibles Konzept entwickeln. Das neu errichtete Stadtschloss, für das der von vielen geliebte Palast der Republik aus den Tagen der DDR weichen musste, ist schon sehr weit gediehen, die Kubatur ist klar auszunehmen, die Kuppel markiert schon wieder einen Orientierungspunkt zwischen Brandenburger Tor und Fernsehturm.

Offen ist aber immer noch, was mit dem vielen Raum anzufangen ist. Unter dem Label Humboldtforum werden nun Ideen gesammelt, wobei die Entscheidung, dass das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst aus Dahlem in das Stadtzentrum übersiedeln sollen, schon lange getroffen ist.

Damit ist auch ein entscheidendes Stichwort gefallen. Interkulturell soll das Humboldtforum werden, und dann auch noch in einen Dialog mit den Blockbustern der Museumsinsel treten, die sich alle in Fußweite befinden: das Pergamonmuseum mit seinen alten Kulturen, das Neue Museum mit der Büste der Nofretete. Am 1. Jänner tritt Neil MacGregor sein Amt an, bei dem ihm zwei namhafte deutsche Gelehrte zur Seite stehen werden: Hermann Parzinger und Horst Bredekamp. Doch sie sind Platzhirsche, während mit dem gebürtigen Schotten eine internationale Größe ins Spiel kommt. Vergleichen lässt sich diese Personalie mit der Bestellung von Ken Gorbey für die Gestaltung der Dauerausstellung im Jüdischen Museum in Berlin vor 15 Jahren. Damals war die Entscheidung für einen Anthropologen, der sich in Neuseeland mit einem Museum nationaler und indigener Kultur Verdienste erworben hatte, sehr umstritten. Bei MacGregor hingegen gibt es einhellige Zustimmung.

Das hat vor allem mit zwei Projekten zu tun. Die Radioserie Eine Geschichte der Welt in hundert Objekten erwies sich als ebenso kluge wie pointierte Darstellung der Entwicklung einer Menschheit, an der die Gemeinsamkeiten stärker in den Mittelpunkt gestellt wurden als das Trennende. Ein Jadebecher bleibt auch dann schön, wenn man etwas eingraviert, was eine neue Religion erfordert. Vom Faustkeil bis zu einer Solarlampe reichte die Bandbreite.

MacGregor erschloss dem British Museum mit diesem Projekt neue Publikumsschichten, auch als Buch ist die Geschichte der Welt in 100 Objekten ein Welterfolg. Und diese Multimedialität ist für einen zeitgemäßen Kulturmanager ein weiterer Pluspunkt, wobei das enge Verhältnis MacGregors zur BBC sicher beiden Seiten sehr geholfen hat. Das Prinzip, relevante Objekte zum Sprechen zu bringen, wandte er danach auch auf eines seiner Lieblingsgebiete an: In Oxford hatte er seinerzeit mit einem Studium von Französisch und Deutsch eine steile Karriere begonnen, die ihn über Recht und Kunstgeschichte allerdings nicht auf einen Lehrstuhl brachte, sondern in die Kulturvermittlung. Aus Oxford behielt er sich ein Interesse für Deutschland, das schließlich zu einem Projekt über Erinnerungen einer Nation führte. Auch hier betreibt er eine Geschichtsschreibung, die Pierre Noras Konzept der Erinnerungsorte mit der Alltagskultur verbindet.

Kuddelmuddel der Ideen

Deutschland. Erinnerungen einer Nation erschien in diesem Jahr nun auch in deutscher Übersetzung und wurde zu Recht als eines der Sachbücher des Jahres gefeiert. Auch hier gibt es zahlreiche assoziative Angebote, die an die Stelle einer linearen Nationalgeschichte treten – man kann Deutschland zum Beispiel in der Spannung zwischen dem Wagen der Quadriga sehen, der auf dem Brandenburger Tor thront, und einem Leiterwagen, der stellvertretend für die vielen Fluchtbewegungen im 20. Jahrhundert gezeigt wird. Die Deutschen waren ja nicht immer nur "daheim", sondern wurden auch vertrieben.

Als Schotte mit dezidiert europäischem Profil hat MacGregor nun sicher auch eine produktive Perspektive auf das Ideenkuddelmuddel, aus dem das Humboldtforum eine heutige Institution machen soll, in der sich die Berliner Aufklärung um 1800 mit dem Geist des Historismus um 1900 verbinden könnte. (Bert Rebhandl aus Berlin, 29.12.2015)