Während in den Überschwemmungsgebieten Nordenglands die Aufräumarbeiten in vollem Gange sind, gerät die konservative Regierung wegen mangelnder Hochwasserprävention unter Druck. Die Stadtratschefin von Leeds sowie andere Kommunalpolitiker berichteten von bereits zugesagten Projekten, die der Haushaltskonsolidierung zum Opfer gefallen seien. Expertengruppen beklagten, sie seien in den betroffenen Ministerien auf taube Ohren gestoßen. Premier David Cameron sagte eine Prüfung zu: "Wir müssen sehen, was funktioniert, und notfalls mehr Geld ausgeben." Den entstandenen Schaden bezifferte der Wirtschaftsprüfer KPMG mit umgerechnet bis zu 4,5 Milliarden Euro. Für die Nacht zum Mittwoch sowie die Jahreswende sagten die Meteorologen weiteren Starkregen voraus.
Hochwasserschutz gestrichen
Nach dem feuchtesten Winter seit Menschengedenken hatte Cameron vor zwei Jahren Lehren aus den großflächigen Überschwemmungen im Westen des Landes angekündigt. So sei für diese Legislaturperiode mehr Geld für den Hochwasserschutz vorgesehen als in den vergangenen fünf Jahren. Kein Wunder, wenden die Kritiker ein: Um das exorbitante Defizit einzudämmen, hatte die konservativ-liberale Koalition nach 2010 vielen geplanten Projekten den Garaus gemacht. Dazu gehörten auch 180 Millionen Pfund teure Vorkehrungen gegen die Hochwassergefährdung neuer Wohnviertel in Leeds; dort wurden am Wochenende rund 2.000 Häuser überschwemmt, viele wichtige Straßen standen unter Wasser.
Cameron hatte sich am Montag in der historischen Stadt York umgesehen und den tausenden von Helfern gedankt. Neben Feuerwehr und Rettungskräften sind auch rund 500 Soldaten im Einsatz, weitere 1.000 stehen als Reserve bereit. Sie müssten sich dringend ausruhen, glaubt der für Hochwasserschutz zuständige Staatssekretär Rory Stewart mit Blick auf die Wettervorhersage für die nächsten Tage: "Wir könnten am Mittwoch und Donnerstag eine sehr schlimme Situation erleben."
Überschwemmungen seien für Großbritannien "die stärkste Folge des Klimawandels", glaubt Professor John Krebs vom Wissenschaftsrat. Man habe die Regierung bereits im vergangenen Jahr dazu aufgefordert, die gesamte Strategie zum Hochwasserschutz zu überdenken. "Leider erhielten wir zur Antwort, man sei ganz zufrieden mit der bisherigen Strategie", berichtete Krebs der BBC. Kritisch sieht der Wissenschaftsrat etwa den Bau von jährlich rund 4.500 neuen Häusern in Gebieten, deren Überschwemmungsrisiko von der Umweltbehörde EA als "mittel bis hoch" eingeschätzt wird. Auch werde viel zu wenig darauf geachtet, wie der gefallene Niederschlag abfließen könne, ohne größeren Schaden anzurichten. So sind in der Metropole London binnen zehn Jahren Vorgärten von insgesamt 3.000 Hektar Größe versiegelt worden, weil Hausbesitzer dies bequemer finden.
Flutzonen bebaut
Zu den Sündern, was Wohnungsbau in Flutzonen angeht, gehören auch Kommunen wie Leeds. Historische Karten der Stadt York offenbaren: Viele der jetzt überschwemmten Gebiete dienten im Mittelalter als Teiche oder Flüsse. Im Umkreis von York warnte die Umweltbehörde am Dienstag noch in neun separaten Zonen vor "unmittelbarer Lebensgefahr" – die höchste Alarmstufe. Die Bewohner von 41 weiteren Regionen müssten sich auf Überschwemmungen einstellen und "sofort handeln" (siehe Grafik).
Der Erzbischof von York wies auf soziale Folgen der Wasserfluten hin: Dass vielerorts Plünderer unterwegs sind, finde er "herzzerreißend". Im Großraum Leeds hat die Polizei das Angebot von Motorrad-Clubs angenommen, die im Calderdale-Tal als Hilfspolizei patrouillieren. (Sebastian Borger aus London, 29.12.2015)