Die Partnerschaft mit der russischen Gazprom spaltet Europa. Vor allem Berlin muss sich wegen der Leitung Nord Stream II viel Kritik anderer Mitgliedstaaten gefallen lassen. Die OMV macht bei der Pipeline auch mit.

Foto: AFP / Alexander Nemenov

Wien – Die Zusammenarbeit mit Russland im Energiebereich zählt seit jeher zu den sensiblen Fragen der europäischen Außenpolitik. Die Annexion der Krim und die darauffolgenden Sanktionen gegen den Kreml haben die Komplexität des Themas zusätzlich erhöht. Kein Wunder, dass die OMV vor ihrer Ausdehnung der Kooperation mit Gazprom auf eine politische Absicherung aus war.

Die sie auch erhielt, wie aus hochrangigen Kreisen des heimischen Energiekonzerns zu hören ist. Vor Signieren einer Absichtserklärung zur Beteiligung an einem sibirischen Gasfeld seien nicht nur die Regierungsspitzen eingebunden worden; vielmehr habe die OMV darauf bestanden, dass die Vorgangsweise in der EU abgeklärt werde.

Das war dann Aufgabe von Sebastian Kurz. Der Außenminister setzte sich laut den Erzählungen telefonisch mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier in Verbindung. Erst nach der Rückversicherung, dass aus Berlin keine Widerstände zu erwarten seien, habe die OMV weitere Schritte gesetzt. Ein Sprecher von Kurz weist diese Informationen als "falsch" zurück.

Gleiche Interessen

Die Interessen zwischen Berlin und Wien betreffend Russland sind derzeit fast deckungsgleich. Die deutsche BASF beziehungsweise ihre Gastochter Wintershall – früherer Brötchengeber von OMV-Chef Rainer Seele – ist ebenso wie der österreichische Konzern Partner beim sibirischen Gasfeld Urengoy. Und beide Unternehmen bauen – ebenso wie E.On, Shell und die französische Engie – gemeinsam mit Gazprom die Pipeline Nord Stream II. Die Leitung von Russland durch die Ostsee nach Deutschland soll die bestehenden Kapazitäten verdoppeln.

Dass Seele das Okay der Regierung einholte, kommt nicht von ungefähr. Die Gaspolitik der EU-Staaten ist geopolitisch und wirtschaftlich von großer Bedeutung und sorgt auch für entsprechende Diskussionen. Das hat sich erst beim EU-Gipfel vor zwei Wochen gezeigt, als Nord Stream II zu überraschend heftigen Wortgefechten geführt hat. Viele Osteuropäer – allen voran Polen – sehen die neue Verbindung nach Russland mit Sorge. Schon kurz davor hatten Polen, die Slowakei, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen und Rumänien die EU-Kommission aufgefordert, das Projekt zu stoppen.

Renzi schäumt

Auch die Regierung in Rom ist verärgert, weil die geplante Pipeline South Stream (sollte nach Italien führen, ein Abzweiger nach Österreich) von der EU-Kommission de facto umgebracht wurde, während Nord Stream befürwortet werde. Premierminister Matteo Renzi sprach nach dem Treffen der Staats- und Regierungsschefs sogar von einer Mehrheit unter den Mitgliedsstaaten, die Italiens Kritik teile. In der "Financial Times" legte er vor einer Woche nach: Nur Deutschland und die Niederlande befürworteten Nord Stream II, erklärte er. (Pipeline-Partner Shell ist britisch-niederländisch.)

Ratspräsident Donald Tusk monierte, dass Nord Stream II die EU-Ziele unterlaufe, die Energiequellen zu diversifizieren. Vielmehr würde die Abhängigkeit Europas von russischem Gas mit der neuen Pipeline sogar steigen, und 80 Prozent der Lieferungen würden auf einer Route konzentriert. Der Transitweg durch die Ukraine werde "ausgetrocknet", klagte der Pole. Über die Ukraine strömen derzeit noch 50 Prozent des für Europa bestimmten russischen Gases. Durch Nord Stream II würde Kiew – neben dem Einfluss – Transitgebühren von zwei Milliarden Dollar jährlich verlieren.

"Kein politisches Projekt"

In der Schlusserklärung des EU-Gipfels heißt es, dass alle Infrastrukturprojekte komplett mit EU-Recht und den Zielen der Energieunion übereinstimmen sollten. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte, sie habe deutlich gemacht, dass es sich bei Nord Stream um eine unternehmerische Entscheidung handle, kein politisches Projekt. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker saß bei der Pressekonferenz in Brüssel neben Tusk – und schwieg.

Das russische Interesse an der Belieferungen Europas – dem größten Gasabnehmer der Gazprom – liegt auf der Hand. Neue Absatzwege nach Asien sind zwar geplant, aber derzeit noch Zukunftsmusik. Die Ersatzroute für South Stream, Turkish Stream, liegt seit dem Abschuss eines russischen Jets durch die Türkei auf Eis. Für die wegen der gefallenen Gaspreise ohnehin angeschlagene Gazprom wäre die Verstopfung neuer Absatzwege fatal. Nicht zuletzt, weil künftig die USA dank Schiefergas stärker in Europa mitmischen werden. Deshalb setzt Gazprom nicht nur auf Produktion, sondern will mit Leitungen, Verarbeitungs- oder Speicherstätten ihre Stellung in Europa langfristig absichern. (Andreas Schnauder, 30.12.2015)