Der für viele zum Ritual des Jahreswechsels gehörende Blick zurück lässt einen manchmal auf Preziosen von früher stoßen, die erst jetzt ihre ganze Strahlkraft entfalten können. Zum Beispiel ein Kurier-Interview von 2011 mit Alfons Mensdorff-Pouilly. Unter der an sich schon vielversprechenden Überschrift "Warum soll das bitte unmoralisch sein?" wird Graf Ali die Gretchenfrage seines soeben zu Ende gegangenen Telekom-Prozesses gestellt: "Wofür haben Sie 1,1 Millionen Euro von der Telekom bekommen?" Seine Antwort ist aus heutiger Sicht geradezu umwerfend: "Das ist alles aus den Büchern ersichtlich. Da steht drinnen, was die Leistung war, was eingegangen ist und wie das Geld im Geschäftsbetrieb verwendet wurde. Ich kann alles auf Heller und Pfennig nachweisen. Wenn ich's nicht dem Staatsanwalt geben würde, dann könnten Sie's jetzt anschauen."

Angesichts der Tatsache, dass Mensdorff gerade wegen des Fehlens jeglicher Unterlagen und Nachweise einer Leistung zu drei Jahren Haft (nicht rechtskräftig) verurteilt wurde, und abgesehen von der Möglichkeit, dass er dem Gericht eine tatsächlich in Heller und Pfennig geführte Buchhaltung aus dem 19. Jahrhundert vorgelegt hat oder Opfer eines Staatsanwalthochstaplers wurde, bleibt nur eine Erkenntnis: Der von Münchhausen abgeleitete Begriff "Lügenbaron" ist reif für ein Upgrade zum Grafen.

So viel Dreistigkeit beeindruckt offenbar auch Medien, von denen man es nicht erwartet hätte. Das einst als Aufdeckermagazin berühmte Profil bemängelt, die Justiz hätte den Lobbyisten nur deshalb wegen Untreue verknackt, weil sie ihm Bestechung nicht beweisen konnte, und schließt: "Dafür wurde der Untreue-Paragraf 153 eigentlich nicht ins Strafgesetzbuch geschrieben."

Um die Fragwürdigkeit dieses Vorwurfs zu erkennen, muss man nicht an die Verurteilung Al Capones wegen Steuerhinterziehung erinnern. Es genügt ein harmloses Denkbeispiel: Stellen Sie sich vor, Sie sind ein erfolgreicher Ghostwriter, der Werke verfasst, von denen man glauben soll, dass sie von Ihren Auftraggebern stammen. Ihr Geschäftsmodell kann nur dadurch gefährdet werden, indem Sie oder Ihre Auftraggeber plötzlich die Wahrheit sagen.

Diese Form der gegenseitigen Absicherung gibt es auch in der Schmiergeldtransferbranche, was eine gerichtliche Aufarbeitung extrem erschwert. Dass Verteiler und Empfänger absurd hoher Geldsummen, über deren wahren Zweck keiner der Beteiligten bereit ist Auskunft zu geben, wegen Untreue zur Verantwortung gezogen werden, ist daher auch als juristische Notwehrmaßnahme absolut in Ordnung.

Vielleicht sogar mehr als das. Da der Jahreswechsel auch rituell von Wünschen an die Zukunft geprägt ist, sei hier noch rasch einer formuliert: Mögen unsere Gerichte fortan keine Scheu bei der Ahndung des Delikts Untreue walten lassen. Das gäbe Hoffnung auf ein kleines bisschen Gerechtigkeit in noch offenen Fällen wie Eurofighter, Grasser, Meischberger, Plech, Hochegger, Scheuch, Dobernig, Kärntner Seenkauf, Kickl, Valora/Novomatic, BZÖ / Casinos Austria, Meinl, Begas, Telekom, Tetron, Ulmer, ÖVP-Wahlkampffinanzierungsaffäre, SPÖ-Inseratenaffäre usw. ... (Florian Scheuba, 30.12.2015)