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Ein Flüchtling mit seinem Kind im Areal des Schubhaftgefängnisses Belá-Jezová, etwa 50 Kilometer nordöstlich von Prag. Obwohl die Zahl von Migranten in Tschechien vergleichsweise niedrig ist, gab es zuletzt stürmische Debatten rund um die Flüchtlingspolitik

Foto: AP/Petr David Josek

STANDARD: Sie haben im Dezember durch die Gründung eines Flüchtlingsfonds aufhorchen lassen. Wie soll der funktionieren?

Dlouhý: Er soll Flüchtlingen eine Ausbildung oder eine Umschulung finanzieren. Einzahlen werden Unternehmen. Damit reagieren wir auch auf den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Tschechien hat nach Deutschland die zweitniedrigste Arbeitslosigkeit in der EU. Es fehlen ausgebildete Maschinenschlosser, Elektriker usw. Viele Migranten sind außerdem bereits gut ausgebildet, hier können wir vermitteln.

STANDARD: Auch in Tschechien, wo es nur wenige Flüchtlinge gibt, wurde heuer heftig über das Thema diskutiert. Ist Ihre Initiative auch ein politisches Statement?

Dlouhý: Natürlich steht der Fonds in einem politischen Kontext. Mit der Fortsetzung der offenen Politik, wie sie etwa Angela Merkel proklamiert hat, bin ich zwar nicht einverstanden, doch die grundsätzlich ablehnende Haltung einiger unserer Spitzenpolitiker konnte ich nur schwer ertragen. Deshalb wollte ich, dass vom Unternehmersektor eine andere Stimme erklingt.

STANDARD: Wie waren dort die Reaktionen?

Dlouhý: Wir haben eine Umfrage gestartet, auf die knapp 1000 Unternehmer geantwortet haben. 42 Prozent können sich vorstellen, Flüchtlinge einzustellen. Etwa ein Viertel ist außerdem bereit, finanziell zu dem Fonds beizutragen.

STANDARD: Premier Bohuslav Sobotka hat sich von Präsident Milos Zeman distanziert und ihm vorgeworfen, Fremdenhass zu schüren. Wie beurteilen Sie diese Debatte?

Dlouhý: Ich bin kein Sozialdemokrat, aber in dieser Frage möchte ich Premier Sobotka unterstützen. Weniger als Präsident der Wirtschaftskammer sondern eher als Vladimír Dlouhý. Auch unter unseren Mitgliedern gibt es ja zu diesem Thema unterschiedliche Meinungen. Wenn in der Umfrage 42 Prozent bereit sind, Flüchtlinge einzustellen, dann sind 58 Prozent dazu nicht bereit. Das Problem ist sehr kompliziert. Es könnte dadurch politischer Raum für Populisten entstehen.

STANDARD: Sprechen Sie da nur von Tschechien?

Dlouhý: Es ist ein europäisches Problem. Viele Migranten kommen aus sehr schwierigen Situationen, flüchten vor Krieg und Gewalt. Für manche ist Europa aber auch durch sein Sozialmodell attraktiv – und es wurde dadurch verwundbar. Das gibt zum Beispiel dem Front National in Frankreich, der AfD in Deutschland oder anderen Parteien Auftrieb, die eine Rückkehr zu den Nationalstaaten wollen.

STANDARD: Was bedeutet für Tschechien die Mitgliedschaft in der EU?

Dlouhý: Eine Reihe von Dingen sehe ich kritisch – zum Beispiel eben das meiner Meinung nach allzu freigiebige europäische Sozialmodell. Aber viele Aspekte der europäischen Integration sind ganz essenziell für unsere Lebensqualität – vor allem der gemeinsame Binnenmarkt und der Schengenraum.

STANDARD: Wie sehen Sie eine mögliche Mitgliedschaft Tschechiens in der Eurozone?

Dlouhý: Ich glaube, der Euro wurde zu früh eingeführt. Die Griechenlandkrise und die Schwäche Europas im Umgang mit ihr sind dafür ein Beweis. Da wir den Euro aber nun mal haben, sollten wir versuchen, ihn schrittweise zu verbessern. Wenn wir auch kommende Schocks bewältigen, hausgemachte wie die Griechenlandkrise oder äußere wie die Flüchtlingskrise, dann kann ich mir vorstellen, dass wir irgendwann nach 2020 den Euro einführen.

STANDARD: Sie waren der erste Minister für Industrie und Handel in der selbstständigen Tschechischen Republik ...

Dlouhý: Davor war ich sogar der letzte Vorsitzende der staatlichen Planungskommission. Im Dezember 1989 haben wir die kommunistische Ämterstruktur geerbt. Ich habe dann die Planungskommission in das Wirtschaftsministerium umgewandelt und war noch zwei Jahre lang tschechoslowakischer Wirtschaftsminister.

STANDARD: Seither ist mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen. Wenn Sie sich an Ihre Hoffnungen von damals erinnern – sind Sie eher zufrieden oder enttäuscht?

Dlouhý: Ich bin froh, dass Tschechien in der EU ist und wir heute hinsichtlich Lebensqualität und Wirtschaftskraft ein ganz anderes Land vorfinden als damals. Dennoch gibt es eine tiefe Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Viele haben das Vertrauen in die Politik verloren und glauben nicht mehr an die Ideale Europas. Diese Unzufriedenheit sehe ich aber auch in Polen, in Ungarn, in der Slowakei. Und wenn ich mich nicht irre, auch in Österreich.

STANDARD: 2012 haben Sie sich für das Amt des tschechischen Staatspräsidenten beworben. Wollen Sie nächstes Jahr wieder antreten?

Dlouhý: Dafür ist es noch zu früh. (Gerald Schubert, 1.1.2016)