Neue Verfassung: Davutoglu traf Oppositionschef Kiliçdaroglu (re.).

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Ankara/Athen – Im Kopf ist alles schon zurechtgelegt, so versichert der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu: die neue Verfassung, der Fahrplan zur Ausarbeitung der Artikel, die Ausrichtung – "freiheitlich, der Mensch im Mittelpunkt, den Staatsbürger schützend". Es ist das eine große politische Projekt der Türkei, das vor fünf Jahren mit hohen Erwartungen begann und dann mit der autoritären Wende im Land, den Gezi-Protesten, Korruptionsaffären der Regierung und den Säuberungen in Justiz, Polizei und Privatwirtschaft zusammenbrach.

Geist der Putschgeneräle

Davutoglu scheint aber entschlossen, nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen im vergangenen November, den er für sich reklamiert, einen neuen Anlauf für eine demokratischere Verfassung zu unternehmen. Sie soll den Text ersetzen, der trotz zahlreicher Änderungen immer noch den Geist der Putschgeneräle von 1980 atmet. Der Premier traf sich dazu am Mittwoch mit dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei im Parlament, dem Sozialdemokraten Kemal Kiliçdaroglu. Mit dem Chef der Rechtsnationalisten, Devlet Bahçeli, will Davutoglu am 4. Jänner sprechen. Die drittgrößte Kraft im Parlament, die prokurdische Minderheitenpartei HDP, schloss der Regierungschef allerdings von den Konsultationen wieder aus. Sie unterstütze die "Terroristen" der PKK bei den andauernden Kämpfen im Südosten des Landes, so begründete Davutoglu, der nominell die konservativ-islamische AKP führt.

Doch die Sache mit der neuen Verfassung für die Türkei hat einige Haken. Zum einen steckt Davutoglu in einem Unternehmen, bei dem er unter Umständen selbst, in seiner Funktion als Premier, von der Bühne verschwände. Staatschef Tayyip Erdogan will ein Präsidialsystem, in dem er die Regierung führt und ein in seinen Kompetenzen beschränktes Parlament auflösen und neu wählen lassen kann.

Das ist nicht unbedingt im Interesse Davutoglus, seines früheren Außenministers. Der hat vier Jahre im Amt vor sich und eine große Parlamentsfraktion, die er nützen will.

"Ein-Mann-Diktatur"

Unklar ist auch, wie die politische Mehrheit für eine neue Verfassung zustande kommen soll. Für Erdogan und seine Gefolgsleute ist die Versuchung groß, ähnlich wie 2010 an Parteien und Parlament vorbei mit einem Referendum nur eine Reihe von Artikeln zur Einführung eines Präsidialsystems annehmen zu lassen. Davutoglu dagegen sucht einen Konsens mit der Opposition. Die lehnt die "Ein-Mann-Diktatur" strikt ab. Doch mit den Sozialdemokraten könnte sich der Premier anderswo durchaus einigen – zum Beispiel auf eine neue breitere Definition des türkischen Staatsbürgers. (Markus Bernath, 31.12.2015)