Vor kurzem hat der US-Ökonom Kenneth Rogoff in einem Kommentar im Standard erläutert, warum der Rückgang des Ölpreises der Konjunktur weniger hilft als erwartet: Unsere Wirtschaft ist nicht mehr so abhängig von fossilen Brennstoffen wie einst. Das gilt allerdings nicht für die erdölexportierenden Staaten. Dort mag der Ölpreisverfall der Wirtschaft schaden, erweist sich aber oft als Segen für Zivilgesellschaft und Demokratie.

Hohe Einnahmen aus Ölexporten sind nämlich Gift für eine offene Gesellschaft. Sie fördern Korruption, bremsen Unternehmertum und sichern die Macht von autoritären Herrschern ab. Fällt der Ölpreis, dann bröckeln auch solche Regime oder müssen zumindest stärker auf die Wünsche der Bürger eingehen.

Venezuela, Iran und Saudi-Arabien

In diesen Ländern bringt ein niedriger Ölpreis Hoffnung auf Veränderung. Ohne den massiven Rückgang der Staatseinnahmen hätten die Erben von Hugo Chávez in Venezuela noch einige Zeit ihre Misswirtschaft kaschieren und so den jüngsten Wahltriumph der Opposition verhindern können. Im Iran stärkt die Entwicklung auf dem Energiemarkt die Reformkräfte rund um Präsident Hassan Rohani, die sich nach dem Atomabkommen auch wirtschaftlich öffnen wollen.

In Saudi-Arabien ist die Führung zu einem Sparkurs gezwungen, der vielleicht auch das außenpolitische Abenteurertum des Königssohns und Verteidigungsministers Mohammed ibn Salman einbremsen kann – vor allem im Jemen. Der Machismo der Saudi-Prinzen ist übrigens eine der Ursachen für den schwachen Ölpreis: Sie glauben, die Fracking-Firmen in den USA so aus dem Markt drängen zu können. Doch diese senken stattdessen ihre Förderkosten.

Putins Machtelixier schwindet

Am stärksten ist das Geschick der Kremlherren mit dem Ölmarkt verknüpft. Ohne den Preisverfall der 1980er-Jahre wäre wahrscheinlich der Sowjetkommunismus nicht kollabiert, ohne den Anstieg in den 2000ern Wladimir Putin nicht so populär und innenpolitisch unangreifbar geworden.

Doch nun geht ihm dieses Machtelixier verloren. Noch tut Putin so, als könnte ihm der sinkende Lebensstandard der Russen nichts anhaben. Aber zumindest in der Ostukraine hat er seine Interventionen zurückgeschraubt. Das kommende Jahr kann ihm auch innenpolitisch Zugeständnisse abverlangen.

Anreiz zum Energiesparen wird vernichtet

Billiges Öl hat allerdings auch eine weltpolitische Kehrseite: Es vernichtet die finanziellen Anreize zum Energiesparen und steht daher dem Kampf gegen den Klimawandel im Weg. Bei einem Ölpreis unter 40 Dollar pro Fass werden alle in Paris eingegangenen Zusagen zur Makulatur: Die Menschen kaufen wieder größere Autos und verzichten auf den Einbau von Solarpaneelen.

Dieses Dilemma könnten die Regierungen lösen, indem sie den Rückgang der Energiekosten durch eine ökologische Steuerreform kompensieren. 2016 wäre das ideale Jahr für eine Anhebung nationaler Spritsteuern oder – noch besser – die Einführung einer europaweiten CO2-Abgabe. (Eric Frey, 30.12.2015)