Wien – Caritas-Präsident Michael Landau fordert von der Regierung im neuen Jahr eine "Integrationsmilliarde" ein. Vor allem in Sprachkurse und Ausbildungsangebote müsse dieses Geld fließen, sagte er im Neujahrsinterview mit der APA. Landaus Appell für 2016 ist, trotz Flüchtlingskrise nicht auf die Armut unter Österreichern zu vergessen. Scharfe Kritik übt er an den Plänen zur Mindestsicherung.
"Wir haben in Österreich 2015 eine unglaublich ermutigende Renaissance der Zivilgesellschaft erlebt", sagte Landau. "Und auch der Schritt der Bundesregierung, in einer humanitär dramatischen Situation schutzsuchende Menschen bei uns aufzunehmen, war menschlich richtig und verantwortungsvoll."
Für gemeinsame EU-Asylbehörde
Klar sei aber auch, dass diese Hilfsbereitschaft ein vernünftiges europäisches Asylsystem nicht ersetzen könne. Aus seiner Sicht entscheidend seien gemeinsame verbindliche Standards im Asylbereich. Ohne diese führe auch ein verbindlicher Verteilungsschlüssel nicht zu mehr Solidarität, sondern zu mehr Ungerechtigkeit. "Wir brauchen in dieser Frage mehr und nicht weniger Europa, also eine gemeinsame EU-Asylbehörde mit einheitlichen EU-weiten Asylverfahren und Grundversorgungsstandards – und das nicht als Nivellierung nach unten", so Landau.
Zu einem gesicherten Zugang zum Asylrecht gehören laut dem Caritas-Präsidenten auch Antragsmöglichkeiten etwa über EU-Botschaften im Ausland. Grundsätzlich ist er der Meinung: "Es gibt keine einfachen Lösungen, und ich warne vor all jenen, die vorgeben, einfache Antworten zu haben. Es wird ein Bündel an Maßnahmen brauchen."
Marshallplan für Syrien
So sei auch mehr Hilfe vor Ort gefragt. Jene Länder, die nur wenig oder keine Flüchtlinge aufnehmen, seien hier politisch und moralisch gefordert, ihre Beiträge zu erhöhen – in Europa, aber auch weltweit gesehen. Dazu zählen für Landau auch Staaten wie etwa Saudi-Arabien, Kanada und Japan. Zudem wünscht er sich von der internationalen Gemeinschaft einen "Marshallplan für den Wiederaufbau Syriens".
Aber auch Österreich müsse mehr Einsatz zeigen: "Die Mitglieder der Bundesregierung haben zuletzt immer wieder betont, dass auch ein kleines Land wie Österreich Großes in den Krisenregionen selbst leisten könnte. Passiert ist hier allerdings noch immer viel zu wenig. Hier würde ich mir von der Bundesregierung, nicht zuletzt vom Außenministerium, deutlich mehr Einsatz und Engagement wünschen. Ja, es war richtig, den Auslandskatastrophenfonds aufzustocken. Aber es ist fatal, wenn die Mittel zur langfristigen, bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in den vergangenen fünf Jahren gleichzeitig dramatisch geschrumpft sind. Hilfe, die in den Krisenregionen heute nicht stattfindet, zwingt morgen weitere Menschen zur Flucht."
"Integrationskrise von morgen"
Ein Thema, das für Landau auch in Österreich ansteht ist die Integration der Flüchtlinge. Als Investitionsprogramm fordert er von der Bundesregierung eine "Integrationsmilliarde" um etwa Sprachkurse und ein Ausbildungsangebot zu ermöglichen. "Von gelebter Willkommenskultur gepaart mit tragfähiger Willkommensstruktur profitieren nicht nur Menschen auf der Flucht, sondern unser Land insgesamt – in wirtschaftlicher, vor allem aber auch in menschlicher Hinsicht."
Auch Vereinen solle mehr Bedeutung zukommen, etwa im Bereich Sport. "Sonst laufen wir Gefahr, dass aus der Quartierkrise von heute die Integrationskrise von morgen wird", warnt der Caritas-Chef. Ein entsprechendes Bildungsangebot sei kein "Akt der Gnade, sondern ein Gebot der Humanität und der wirtschaftlichen Klugheit". Jugendliche Flüchtlinge seien oft "extrem begierig" zu lernen.
Ein Ende muss für Landau das Geplänkel bei den Zuständigkeiten für die Flüchtlinge haben. "Es müssen Bund, Länder und Gemeinden zusammenspielen und das geht nur, wenn ich ermutige und nicht verängstige", meint er. Dabei sei es nicht die prioritäre Frage, ob etwa Bund oder Länder Erstaufnahmezentren betreiben, sondern dass die Verfahren rasch und qualitätsvoll durchgeführt werden. Und: "Wenn es nach dem Erstaufnahmezentrum keine Quartiere gibt, keine Versorgung gibt, keine ausreichenden Angebote um zu lernen, dann nützt es mir nichts, das Türschild zu wechseln."
Asyl auf Zeit als Placebo
Die Vorhaben zu "Asyl auf Zeit" sind für Landau nach wie vor nicht sinnvoll: "Ich halte das für ein Placebo zur Beruhigung der österreichischen Bevölkerung, aber für ein Placebo mit schädlichen Nebenwirkungen für alle Menschen." Einerseits warnt der Caritas-Präsident vor einem "massiven Bürokratie- und Kostenschub", andererseits sei dies ein enormes Integrationshindernis, denn: "Wer investiert in Bildung, wenn er nicht weiß, ob er nach drei Jahren das Land verlassen muss? Und wer gibt Flüchtlingen eine berufliche Chance, wenn der Verbleib im Land ungewiss ist?" Zudem gebe es bereits die Möglichkeit, den Asylstatus abzuerkennen.
Landaus Neujahrsappell an die Bundesregierung lautet, "neben Flucht und Integration die Not der Österreicherinnen und Österreicher nicht zu vergessen". Dabei dürfe man aber Arbeitslose, Pflegegeldbezieher und Menschen, die ihre Wohnungen nicht angemessen warm halten können, nicht gegen die Flüchtlinge ausspielen, warnt er. "Wer unser Land liebt, spaltet es nicht. Es kann nicht heißen, entweder oder, es muss heißen, sowohl als auch."
Sorge um Mindestsicherung
Was der Caritas-Präsident "mit Sorge" verfolgt, ist die Diskussion um die Mindestsicherung. "Der Vorstoß, die Mindestsicherung bei Familien mit mehreren Kindern zu deckeln, ist aus meiner Sicht hochproblematisch", meint er dazu. Die Regierung würde aus kinderreichen Familien "Familien mit armen Kindern machen", was absurd sei. Auch das Budget könnte dadurch nicht genesen. Zudem erinnert Landau die Familienministerin: "Es grenzt an Selbstverleugnung, wenn man Männer und Frauen ausgerechnet dafür bestrafen möchte, dass sie Familie sein und Kinder haben wollen." Der Caritas-Chef hält es für möglich, eine solche Regelung auch verfassungsrechtlich prüfen zu lassen. (APA, 1.12016)