Im Raum "Zweifel" herrscht noch einmal Verunsicherung vom dem Aufbruch, ...

Foto: Alpines Museum der Schweiz, David Schweizer

... der blendend weiße "Gipfel"-Raum erzeugt indes ein verstörendes Gefühl der Leere.

Foto: Alpines Museum der Schweiz, David Schweizer
Foto: Foto: Alpines Museum der Schweiz, David Schweizer

Zwei Wanderer kehren zurück ins Tal. Er komme nicht gerne heim, meint der eine, denn jedes Ankommen sei deprimierend. Worauf sein Begleiter entgegnet, dass dies nicht der Fall sei – hinter jedem Berg warte ein nächster.

Im letzten Raum der Ausstellung Die Erweiterung der Pupillen beim Eintritt ins Hochgebirge, der als kleiner Kinosaal dient, wird man mit Filmausschnitten konfrontiert, die alle um das Thema Rückkehr vom Berg kreisen. Ist man nach exakt einer Stunde Wanderung durch die Installation hier angekommen, kann man somit einen letzten Blick zurück in die Welt der Berge werfen. Und dieser Blick ist mit Sicherheit ein anderer geworden als jener, mit dem man zu Beginn in dem kleinen Wartesaal im Treppenhaus des Museums auf den Einlass – beziehungsweise auf den Aufstieg – gewartet hat.

Dieses Warten, das man auf einfachen Bänken sitzend zubringt, kommt einem Aufwärmen gleich, während auf einem Monitor der Countdown die Minuten bis zum Aufbruch ausweist. Als zufällig zusammengewürfelte Kleingruppe verfolgt man die unzähligen historischen Werbeclips, in denen das Gebirge seit Jahrzehnten vermarktet wird – als Idylle, Heimat, Abenteuerspielplatz. Gekauft werden sollen Schokolade, Autos und Getränke, zwischendurch hängt ein Kletterer mit dem neuesten Fotoapparat in der Steilwand. Auch das ist die Welt der Berge – ein Sammelsurium an Klischees, eine Maschinerie ständiger Bilderproduktion, die kollektive Wünsche aufgreift und deren Erfüllung vorgaukelt.

Die Erweiterung der Pupillen funktioniert als Parcours durch rund hundert Schweizer Spielfilme, die in jedem der zu durchwandernden Räume eine eigene Themencollage bilden. Die Dramaturgie von Antoine Jaccoud, Drehbuchautor der Filme von Ursula Meier (Home, Sister), folgt dabei einer klassischen Gipfeltour: Vom Aufbruch über die Rast geht es hinauf bis zum Gipfel und wieder zurück ins Tal, wobei die dramatischen Momente (die Gefahr, die Katastrophe) unabdingbarer Bestandteil beziehungsweise Wegabschnitt sind.

Vorgegebener Weg

Das Besondere daran: Bei dieser Beschreitung gibt es nur spärlich begrenzte Möglichkeiten, eine bestimmte Perspektive einzunehmen: erstens, weil die Bewegungsfreiheit in den Räumen durch verschiedene Materialien (wie etwa Holzpflöcke) und die Beschaffenheit (ein als Couloir fungierender schmaler, dunkler Gang) entsprechend eingeschränkt ist, zweitens, weil die Verweildauer exakt festgelegt ist. Licht und Ton geben den weiteren Weg zur nächsten Station vor – bei dieser Begehung gibt es kein Zurück.

Dennoch kann von einer Erlebnistour nicht die Rede sein. Denn die auf zwei Etagen verteilten Räume setzen auf Funktionalität und Reduktion. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht der Film als Ausdruck, die Ausstattung deutet vieles nur an: eine als Almwiese funktionierende grüne Matte, auf der man auf dem Rücken liegend der Natur beim Erwachen zusieht; oder der gleißend weiße Gipfelraum, an dessen Ende ein einzelner Monitor mit wabernden Nebelschwaden auftaucht, der sich als Teil eines Kreuzes erweist. Während man dem vermeintlichen Ziel mit jedem Schritt näher kommt, wird man sich als Schatten seiner selbst gewahr. Hier wird der Bruch mit ideologisch besetzten Bildern, der Die Erweiterung der Pupillen auszeichnet, besonders deutlich: Das Ankommen ist kein heroischer Sieg, sondern erzeugt ein verstörendes Gefühl von Leere und Verlorenheit.

Belastetes Genre

Der deutschsprachige Bergfilm gilt seit Jahrzehnten als problematisches Genre, das sich seit den Tagen von Arnold Fanck, Leni Riefenstahl und Luis Trenker nicht eben oft durch Kritik an den Verhältnissen hervorgetan hat. Die Geschichte des Schweizer Bergfilms ist seinem österreichischen Pendant nicht unähnlich: auf die vor Pathos strotzenden Filme der 1930er-Jahre, in denen das Genre eine Blütezeit erlebte, folgte der naive Kitsch der Nachkriegszeit, von dem die Tourismusindustrie bis heute zehrt und der als nationales Identifikationsangebot dient. Die Gegenbewegungen ab den 1970er-Jahren in Form des neuen Heimatfilms übten sich, wie etwa Fredi M. Murers Höhenfeuer (1985), in Revisionismus, während seit einigen Jahren viele Produktionen – selbst so unterschiedliche Arbeiten wie die aktuelle Adaption von Heidi und der österreichische "Alpenwestern" Das finstere Tal – einen realistischen Grundton anschlagen. Diese auch immer politisch zu lesenden Genrezugänge werden in der Ausstellung besonders durch die Form der Collage, bei der die Bilder, Perspektiven und Jahrzehnte durcheinandergewirbelt werden, unmittelbar erfahrbar.

Das österreichische Alpenverein-Museum in Innsbruck, mit der Ausstellung Berge, eine unverständliche Leidenschaft mehrfach ausgezeichnet, wurde im Übrigen wegen Auflassung des Standorts geschlossen. Glücklicherweise beweisen die Schweizer Nachbarn nicht nur auf dem Gipfel, sondern auch mit der Neuausrichtung des Alpinen Museums kulturpolitischen Fernblick. (Michael Pekler aus Bern, 2.1.2016)