Experten warnen: Österreich blende die Tatsache aus, welch tiefgreifende Veränderungen der Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren erfahren werde.

Foto: apa / wang zhao

Wien – Keine Frage: Das Thema liegt in der Luft. "Wie lange dauert es noch, bis Journalisten von Robotern ersetzt werden?", fragte die Süddeutsche Zeitung im September bang und malte ein Szenario von Uber-fahrenden AirBnB-Hosts, die sich in ihrer kärglichen Freizeit auch noch mit digitalen Designer-Minijobs, die sie über ein Freelancer-Portal finden, finanziell über Wasser halten. Die berechtigte Frage des SZ-Journalisten: "Erleben wir gerade die anbrechende Blütezeit des Solo-Freiberuflers oder Szenen der fortschreitenden Prekarisierung? Eine neue Phase selbstbestimmter Arbeit oder doch schlichten Plattformkapitalismus, in dem Software-Firmen als Vermittler-Monopole abkassieren?"

Man darf beruhigt sein – so schlimm wird es wohl nicht kommen. "Wir müssen die neue Arbeitswelt nicht fürchten", befand der Autor. Aber dennoch: Durchaus anerkennend wurde erwähnt, dass man sich in den USA und auch in Deutschland jetzt mit diesem Thema ausführlich befasst.

Ausgeblendet in Österreich

Dieser Befund trifft auf Österreich freilich nicht zu. Zumindest waren da jene 58 Experten einer Meinung, die bei der Arena-Analyse 2016 unter dem Titel "Neue Arbeitswelt" mitmachten. Ihr Tenor: Österreich blende gerne die Tatsache aus, welch tiefgreifende Veränderungen der Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren erfahren werde – durch Big Data, 3-D-Drucker, Gig-Economy, Plattformkapitalismus, aber auch die zunehmende Zahl an "social enterprises" und ein digitales Arbeitslosenheer, aus dem man per Mausklick, ganz nach Bedarf und Wunsch, für bestimmte Projekte passende Mitarbeiter (natürlich nur auf Honorarbasis) anwerben kann. Veränderung steht auch bevor durch Faktoren wie die jüngst wieder einmal eingeläutete ökologische Energiewende oder die Tatsache, dass wir immer älter werden, aber immer früher in Pension gehen und uns als Hochbetagte von einem neuen Pflegerinnen-Prekariat versorgen lassen.

Seit zehn Jahren trägt die Wiener Unternehmensberatung Kovar & Partners Meinungen und Prognosen von Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu einem vorgegebenen Thema zusammen. Es geht darum, künftige Trends aufzuspüren, die außerhalb fachspezifischer Zirkel bis dato noch wenig Beachtung finden. Gemeinsam mit dem STANDARD und der Wochenzeitung Die Zeit wurden Expertinnen und Experten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz um ihre Einschätzungen gebeten. Darunter befinden sich ehemalige heimische Spitzenpolitiker, aber auch aktive Manager sowie Politik-, Bildungs- und Wirtschaftsforscher.

Das Negative

Wie in den Jahren zuvor wurde allen Teilnehmern Anonymität zugesichert. Das führt immer wieder zu unverblümten Aussagen und Einschätzungen – wie etwa zu jener, dass die prekären Arbeitsverhältnisse in Zukunft zunehmen werden. Das werde, so die Conclusio, auch die persönlichen Lebenssituationen der Menschen zunehmend unsicher machen und rechtspopulistische politische Strömungen begünstigen. Auch die unbezahlte Arbeit sowie illegale Beschäftigungsverhältnisse "im Bereich Care und persönliche Dienstleistungen" würden zunehmen, prophezeien die Experten. So weit das Negative.

Wer Veränderungsprozesse lieber unter positiven Gesichtspunkten betrachtet, kann sich an folgender Prognose aufrichten: Die Arbeitslosigkeit wird nicht nur steigen – sie wird gleichzeitig auch sinken. Weil neue Berufsbilder entstehen und technologische Entwicklungen die größten und nachhaltigsten Auswirkungen auf das Arbeits- und Wirtschaftsleben haben werden, meinen die Experten.

Jobs durch Klimaschutz

So werden etwa der im Dezember beim Pariser Klimagipfel vereinbarte Ausstieg aus den fossilen Energieträgern und die Forcierung erneuerbarer Energiequellen viele neue Professionen entstehen lassen. Dass Systeme immer komplexer werden – sei es die Homevideo-Anlage daheim oder die Buchhaltungssoftware im Büro -, führt zwar dazu, dass der Einzelne bei Problemen immer weniger gegensteuern kann. Der positive Nebeneffekt ist, dass dadurch neue Dienstleistungszweige entstehen.

Vier Treiber der Veränderungen wurden in der Analyse genannt: die Weiterentwicklung der Wissensgesellschaft, die eine neue, internationale Arbeitsteilung, eine komplette Globalisierung bringen werde; der demografische Wandel, der mehr alte Menschen, eine verlängerte Lebensarbeitszeit, aber weniger junge auf dem Arbeitsmarkt bringen werde; der gesellschaftliche Wertewandel in der entwickelten Welt mit verstärkter Sinnsuche in der Erwerbsarbeit, dem Bestehen auf Work-Life-Balance und einer Tendenz hin zur Freizeitgesellschaft; last, but not least der technologische Wandel in Richtung Digitalisierung und Automatisierung bis hin zu Robotics.

Schnell und flexibel

Mithilfe hochkomplexer 3-D- Printer könnte es beispielsweise bald möglich sein, dass ein Mini-Start-up-Unternehmer in Wien-Neubau von einem Erfinder in Seoul die Lizenz zum Bau einer vollautomatischen Haushalts-Putzmaschine erwirbt und diese mittels Bauplänen aus Polen und Indien in Wien "ausdrucken" (sprich: fertigen) lässt – um sie dann, ganz auf individuelle Bedürfnisse abgestimmt, zu leistbaren Preisen online an Kunden in ganz Europa zu verkaufen.

Die Hamburger Familie mit zwei Kleinkindern braucht etwa einen Staubsauger, der von selbst wieder kleine Lego-Teile ausspuckt, das Ehepaar mit der Jagdvilla im Schwarzwald dagegen einen mit extrastarker Saugleistung für Hundehaare. Und die Studenten-WG in Wien verlangt einen Hausroboter, der nicht nur saugt, sondern einmal wöchentlich von sich aus das pickige Küchenlinoleum putzt.

Experten warnen: Österreich blende die Tatsache aus, welch tiefgreifende Veränderungen der Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren erfahren werde.
Foto: apa / wang zhao

Als Gewinner dieser Entwicklung machten die Experten Kleinstunternehmer aus, die schnell und flexibel auf individuelle Bedürfnisse reagieren können. Als Verlierer könnten die großen Betriebe sein, die in Massen produzieren müssen, um rentabel zu sein. Mit formalisierten Ausbildungen und normierten Arbeitsabläufen werde man künftig nicht weit kommen, lautet die Prognose – Flexibilität sei gefragt, auch in Sachen Kollektivverträge und gewerkschaftliche Vertretung.

Debatte um Einkommen

Gelingt dieser technologische Wandel, wird er auch politische und soziale Folgen haben. Mehr Wertschöpfung bei weniger Arbeitsleistung – das kann nur bedeuten, dass es eine neue Umverteilungsdebatte geben wird: Wie kann die Verteilung des Bruttosozialprodukts von der Erwerbsarbeit entkoppelt werden? Damit werde auch die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen erneut aufflammen.

All das werde, so lautet die Kritik in der Analyse, in Österreich derzeit zu wenig diskutiert – und wenn, dann nur entlang eingefahrener ideologischer Gräben. Zu wenig sei Politikern bewusst, so befanden viele Teilnehmer, dass man an einer Zeitenwende stehe, die das Leben aller berühre. Die entscheidende Frage, formulierte ein Experte, sei dabei: "Ist ein gutes Leben für einen Menschen generell noch möglich, der sich fünf- bis zehnmal im Leben selbst erfinden muss?" (Petra Stuiber, 8.1.2016)