Die betriebliche Zielsetzung kann natürlich nicht anders lauten, als fehlerfrei zu arbeiten. Der nüchterne Umgang mit der Realität hingegen legt nahe, sich auf Fehler als unvermeidbare Begleiter aller Arbeit einzustellen. Das mindert die Schockwirkung beim Auftreten von Fehlern. Und das stimmt auf einen grundsätzlich anderen Umgang mit Fehlern ein.
Meistens wird auf Fehler mit ärgerlichen Schuldzuweisungen reagiert. Irgendjemand wird aus aufwallendem Unmut heraus "runtergeputzt". Das ist eine menschlich verständliche, im Blick auf die betrieblichen Bedürfnisse aber keine sinnvolle Reaktionsweise. Eine solche verlangt, den Fehlerursachen nachzuspüren, zum einen um den oder die aufgetretenen Fehler abzustellen, zum anderen, um aus Fehlern zu lernen.
Fingerzeige zum Lernen
Denn meistens sind Fehler auf irgendeine Art und Weise Fingerzeige zum Lernen und damit Wegweiser zur Verbesserung der betrieblichen Arbeit. Sie so anzusehen und mit ihnen umzugehen eröffnet die Möglichkeit, auf gesamtbetrieblicher Ebene intelligenter zu werden. In der praktischen Konsequenz heißt das: Fehler haben nicht nur, sie verlangen auch in ihrer Behandlung immer ein Einerseits und ein Andererseits.
Einerseits: Stellt sich heraus, jemand hat fahrlässig, nachlässig oder aus Desinteresse an der Arbeit "Mist gebaut", liegt die Fehlerursache also in der Arbeitshaltung, dann sind deutli-che Worte, dann ist ein ruhig, aber bestimmt geführtes Kritikgespräch angebracht, am besten unter vier Augen, nicht als öffentliches Tribunal. Es sollte auf Einsicht zielen und auf die Bereitschaft zur "Besserung", nicht auf Kleinmachen. Läuft dieses Bemühen ins Leere, sind Konsequenzen zu ziehen.
Anderseits: Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Vermutlich gibt es niemanden, der mit diesem Teufel noch nicht Bekanntschaft gemacht hat. Solides Fachwissen, saubere Planung, Konzentration und Umsicht beim Tun, einwandfreies Material, all das schützt manchmal nicht davor, schon im Verlauf der Arbeit oder nach deren Abschluss plötzlich mit dem unguten Gefühl dazustehen: Irgendwie und irgendwo hat sich da ein Fehler eingeschlichen.
Ohne Zorn und Eifer
Ist fahrlässiges oder gar schuldhaftes Handeln also auszuschließen, liegt die Fehlerursache zunächst im Dunkeln, dann heißt die Devise: Spürsinn entwickeln, unvoreingenommen, unpersönlich, sachlich, ohne Zorn und Eifer. Ziel ist jetzt, einem möglicherweise vielleicht schon seit längerem im Verborgenen waltenden Fehlermechanismus auf die Spur zu kommen, klüger zu werden.
Die Fehlersuche wird zum Lernprozess. Das an und für sich Ärgerliche eröffnet die Chance zum Besserwerden. Die landläufige Kopfprogrammierung "Feh-ler=Katastrophe" auf Chefseite oder "Fehler=Katastrophe=Vertuschen" auf der "Gegenseite" ist dann die eigentliche Katastrophe im Umgang mit Fehlern. Und diese Katastrophe muss vermieden werden, lenkt sie doch vom tatsächlichen Problem ab, unterbindet den Lernprozess und verhindert zukünftig fehlerfreieres und somit effizienteres Arbeiten. Fehler, wird ihnen unaufgeregt und forschend nachgespürt, erweisen sich nur zu oft als bessere Wegweiser hin zu sinnvollen oder gar notwendigen Veränderungen und Neuerungen denn theoretische Überlegungen. Fehler sind die wohl am meisten unterschätzten und ignorierten betrieblichen Lehrmeister. Für die betriebliche Entwicklung leisten sie, von ihrem Schreckgespenst-Image befreit, oft Wichtigeres als so manches andere, was mit hohem Aufwand und tiefer Gläubigkeit betrieben wird.
"Todsünde"
Das führt zu einem weiteren Aspekt des Fehlerthemas. Die Erfahrung lehrt: Dort, wo sie postwendend als Todsünde gebrandmarkt werden und die, die diese Todsünde begangen haben, automatisch als unfähig gelten, entzieht sich das Unternehmen wertvolle menschliche Potenziale. Wer einmal die Erfahrung einer solchen Sicht- und Behandlungsweise durchgemacht hat, hält sich künftighin bedeckt und setzt alles daran, Fehler zu vertuschen – oder irgendwie zu reparieren.
Damit löst sich der allen Fehlern innewohnende Lerneffekt in Luft auf. Oder anders gesagt: Die innerbetriebliche geistige Lebendigkeit wird abgewürgt, die Lernfähigkeit des Unternehmens wird behindert, es wird kein neues Wissen und Können erschlossen. Der Betrieb erfährt keine Inspiration, er wird nicht aufmerksamer sich selbst gegenüber. Und Aufmerksamkeit gilt als ein maßgeblicher Treiber von Innovationen.
"Unsere Studien zeigen, dass eine Blame-Shame-Kultur nach Fehlervorkommnissen tödlich für das Lernen aus Fehlern ist. So werden nämlich Vorkommnisse unter den Teppich gekehrt, und es wird nichts daraus gelernt", erläutert Johannes Steyrer, Professor an der Interdisziplinären Abteilung für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Etwas wahrzunehmen, darüber nachzudenken, Schlüsse daraus zu ziehen und dann handelnd auf der Grundlage neuer Überlegungen etwas zu wagen, das ist die Triebkraft betrieblicher Entwicklung. Und deren Triebkraft wiederum ist die Aufmerksamkeit der Belegschaftsmitglieder – in Verbindung mit der Bereitschaft, das Bemerkte anzusprechen. Das führt zu einem weiteren Punkt, der dafür spricht, Fehler nicht mit so zornesfunkelnden Augen anzusehen.
Nehmt die Leute für voll
In jeder Mitarbeiterin, in jedem Mitarbeiter verbirgt sich eine weitere Mitarbeiterin und ein weiterer Mitarbeiter, und zwar die Person, welche zum Vorschein kommt, werden die schlummernden Anteile ihres Wissens und Könnens aktiviert und gewissermaßen "in Betrieb genommen".
Wiederum Erfahrungstatsache: Oft brauchen Betriebe nicht unbedingt mehr Personal, um größere Anforderungen oder generell jene der Zu-kunft zu bewältigen, sondern "lediglich" die komplette Fähigkeitsausstattung ihrer Mannschaft. Und diese Ausstattung gibt häufig Anlass zu heftigem Erstaunen.
Ein Blick auf Ehren- und sonstige außerbetrieblich wahrgenommenen Ämter spricht da eine sehr aufschlussreiche Sprache. Da finden sich Vereinsvorsitzende, die mit geradezu überragenden Führungs- und Organisationsfähigkeiten glänzen. Da wird im sozialen Bereich mit außergewöhnlichem Fingerspitzengefühl unentgeltlich Unterstützungsarbeit geleistet.
Da werden in der Arbeit der freiwilligen Feuerwehren komplizierteste Lösch-, Rettungs-, Gefahrgut- oder Katastropheneinsätze absolviert, bei denen ein koordiniertes Können, eine Um- und Weitsicht, ein Lernvermögen gefordert und an den Tag gelegt wird, das, würde es auch betrieblich urbar gemacht, ein Göttergeschenk für die Unternehmen wäre.
Die Fehlersuche wird zum Lernprozess. Das an und für sich Ärgerliche eröffnet die Chance zum Besserwerden. (Hartmut Volk, 9.1.2016)