Unsere Werte. Unsere Kultur. Unsere Zugehörigkeit. Unsere Identität(en). Was macht uns zu dem, was wir sind? Definieren wir uns auch heute noch vorwiegend über die Zugehörigkeit zu sozialen, religiösen, politischen, kulturellen Gruppen und deren Werten? Wo liegt der gravierende Unterschied zwischen Identität und Identitär? Lässt sich ein normativer Minimalkonsens über "unsere" Identität überhaupt herstellen? Wie ist dieses Sich-selbst-als-gleich-Erleben in einer pluralistischen, emanzipierten, offenen und multiethnischen Gesellschaft überhaupt möglich? Wie schmal ist der Grat zwischen Ab- und Ausgrenzung?

Erhard Stackl, seit zwei Jahren Chefredakteur der Zeitschrift Das Jüdische Echo, machte die Frage nach der Identität zu dem – auch angesichts der nach Europa fliehenden Menschen aus anderen Kulturen – hochaktuellen Jahresthema des von Leon Zelman 1951 gegründeten Europäischen Forums für Kultur und Politik (Cover: Cristóbal Schmal). Prominente Autorinnen und Autoren, Wissenschafterinnen und Wissenschafter unterschiedlicher Generationen reflektieren in Essays oder Interviews über Identität und Integration, über Religion und Wissenschaft, über gelebte Vielfalt in Israel. Und darüber, ob und wie sehr ihre oft von Flucht, Vertreibung, Exil und Neubeginn geprägten Familiengeschichten prägend für ihre Identitätsfindung waren und immer noch sind.

Sie sei keine Jüdin, aber auch keine Nichtjüdin, konstatiert etwa die Schriftstellerin Eva Menasse, Tochter eines jüdischen Vaters und einer katholisch sozialisierten Mutter: "Ich bin das Produkt einer verfolgten Familie ... auch wenn das Wort, das manche dafür haben, nicht nur spöttisch, sondern auch schrecklich ist: Wir sind Hitler-Juden, meine Vaterfamilie und ich."

Und die zum Judentum konvertierte, atheistische Journalistin Tessa Szyszkowitz schreibt ebenso klug wie humor- und liebevoll über ein Leben zwischen den Welten, über sich als "die ewige Schickse", ihre Familie. Ihre drei Kinder seien "kulturelle Mutanten" mit Wurzeln in Wien und Jerusalem, die sich aus "verschiedenen Kulturen, Religionen und Religionslosigkeiten, Pässen und Nationalitäten eine ganz eigene Identität geschaffen haben".

Mehrere Gespräche mit dem Schriftsteller Frederic Morton hätten ihn zu diesem Heft angeregt, schreibt Stackl. Mortons Festvortrag, den er nur wenige Tage vor seinem Tod im April im Wiener Haus der Barmherzigkeit hielt, ist einer der berührendsten und gnadenlos erhellendsten Beiträge in dieser an hochkarätigen Texten überreichen Publikation. Von seinem ersten Exil erzählt Morton, der als Jugendlicher vor den Nazis von Wien nach New York fliehen musste; und seinem zweiten: "der Verbannung aus der Jugend in das Alter ... Plötzlich, hart und tief, bin ich ins Altland gefallen." (Andrea Schurian, 8.1.2016)