Flüchtlinge kommen im November in Spielfeld an.

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Wien – Das Innenministerium hat jetzt die vorläufigen Asylzahlen für das vergangene Jahr vorgelegt. Diesen zufolge wurden rund 90.000 Ansuchen gestellt – und damit um gut 200 Prozent mehr als im Jahr davor, als 28.000 Anträge abgegeben wurden.

Zum Vergleich: Zur Zeit der Ungarnkrise in den Jahren 1956 und 1957 waren 170.000 Flüchtlinge nach Österreich gekommen. Laut dem Uno-Flüchtlingshochkommissariat sei ein Großteil davon in die USA und nach Kanada emigriert, 18.000 seien in Österreich geblieben. Und doch ist es schon lange Zeit her, dass auch nur annähernd so viele Flüchtlinge wie letztes Jahr nach Österreich kamen. Im Jahr 2010 wurden beispielsweise gerade einmal 11.012 Anträge gezählt.

Die größte Flüchtlingsgruppe waren über das ganze Jahr gerechnet die Afghanen mit 25.202 Anträgen. Knapp dahinter folgen mit 25.064 Ansuchen die Syrer. Schon deutlich darunter auf Platz drei liegen die Iraker mit 13.528 Anträgen. Alle anderen Gruppen haben weit weniger als 10.000 Ansuchen abgegeben.

Österreich beantragte Aufschub

In der Frage der Umverteilung hat Österreich die EU-Kommission um einen zwölfmonatigen Aufschub bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien gebeten. Das erklärte die Brüsseler Behörde am Dienstag und bestätigte damit einen entsprechenden Bericht auf "nzz.at". Man sei dabei, das Ansuchen Österreichs zu prüfen, sagte ein Sprecher.

Österreich hat sich zur Aufnahme von 1.953 Flüchtlingen (1.491 über Griechenland, 462 über Italien eingereist) im Rahmen der EU-Umverteilung (Relocation) verpflichtet, bisher aber keine freien Plätze gemeldet. In Österreich gebe es ohnehin eine "Unterbringungskrise", sagte Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck.

Die EU hatte im September gegen den Widerstand Ungarns, Tschechiens, Rumäniens und der Slowakei die Umverteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Staaten beschlossen. Bisher haben nach Angaben der Kommission (Stand: 11. Jänner) 17 Länder insgesamt 4.237 Plätze für diese Schutzsuchenden geschaffen. Elf Staaten haben dies verabsäumt. Österreich ist einer davon.

ÖVP kritisiert Kanzler

In der Debatte über die Zahlen kommt es nun wieder zu Knirschen im Koalitionsgebälk. Die ÖVP nimmt Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) ins Visier – er müsse sich mit seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel über die zurückgeschickten Flüchtlinge auseinandersetzen, sagte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) am Dienstag vor dem Ministerrat.

"Wenn wir schon über Pullfaktoren reden, dann müssen wir über Rückführungen reden", konterte allerdings Faymann und nahm damit einmal mehr schwarze Minister in die Pflicht, schließlich sei Mikl-Leitner zuständig und solle nach Ansicht der SPÖ auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) Rückübernahmeabkommen verhandeln. Die bestehenden seien oft nicht ausreichend, kritisierte Faymann.

Nach Ansicht der ÖVP wiederum ist das "Transitabkommen" zwischen Österreich und Deutschland – im Herbst des Vorjahres hatte Deutschland ja beschlossen, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, und Österreich war gefolgt – null und nichtig. Und von der EU sei auch nichts zu erwarten, zeigte sich Mitterlehner zutiefst verärgert darüber, dass auf europäischer Ebene nichts weitergehe. Die Nationalstaaten seien auf sich allein gestellt und müssten eben nationale Maßnahmen ergreifen – an diesem Punkt sei Deutschland nun angelangt.

Mikl-Leitner: "Absage an Willkommenskultur"

Angesichts der Tatsache, dass der nördliche Nachbar nun im Schnitt 200 Flüchtlinge täglich nach Österreich zurückschickt, müsse sich Faymann mit Merkel zusammensetzen und die weitere Vorgangsweise besprechen, so Mikl-Leitner. Ihr Wunschergebnis: "Es braucht hier eine Absage an die grenzenlose Willkommenskultur."

Ganz ähnlich hatte es bereits zuvor ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka in einer wenig freundlichen Aussendung Richtung SPÖ formuliert. Österreich müsse "generell dichter machen", sagte er zudem vor der Regierungssitzung. Sein SPÖ-Gegenüber Andreas Schieder quittierte das mit dem Wunsch nach "Sacharbeit und weniger Polemik" aus den schwarzen Reihen.

Faymann will offenbar auf schärfere Kontrollen an den Grenzen setzen. "Wenn man mehr kontrolliert, kommt man auf mehr drauf", lautet seine Devise. Wenn etwa jemand "nicht glaubhaft machen kann, warum er ins Land kommen möchte", werde man ihn auch nicht hereinlassen. Er habe ein "Gutachten" bei Außen-, Innen- und Verteidigungsministerium in Auftrag gegeben, um zu klären, was an der Grenze "rechtlich alles möglich ist".

Man nehme solche Vorstöße "gerne auf", meinte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Die ÖVP bleibt aber grundsätzlich bei ihrer Linie, dass Österreich schlicht zu "attraktiv" ist, was die Sozialleistungen betrifft.

Mikl-Leitner will "klare Obergrenze"

Die Innenministerin drängte auf eine "klare Obergrenze" bei der Asylaufnahme. Klare Zahlen nannte sie aber nicht. Man werde das Thema bei dem Treffen mit den Ländern am 20. Jänner genau erörtern. Mikl-Leitner wich am Dienstag ein wenig von der sonst üblichen Trennung in der Diskussion zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen ab. Viele Kriegsflüchtlinge würden gezielt nach Österreich kommen, weil es ihnen hier besonders gut gehe, anstatt in Kroatien oder Slowenien Asyl zu beantragen.

Das Dublin-Abkommen müsse wieder strikt eingehalten werden, forderte die Innenministerin. Auf entsprechend wenig Gegenliebe stieß in der ÖVP Faymanns Wunsch nach einer frühen Trennung der Flüchtlinge, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen. Wenn Hunderte an der Grenze stehen, sei das wohl kaum machbar, meinte Lopatka.

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) erachtet aufgrund des "kläglichen Versagens" der Europäischen Union nationale Maßnahmen als notwendig. Österreich drohe sonst aufgrund der restriktiven Flüchtlingspolitik der Nachbarstaaten in eine "Sandwichstellung" zu geraten, sagte Platter am Dienstag bei der Pressekonferenz nach der Klausur der Landesregierung in Imst.

Der Definierung einer nationalen Obergrenze wollte Platter indes nicht das Wort reden. Diese werde sich durch die notwendigen "harten Maßnahmen" ohnehin ergeben, sagte der Landeshauptmann der APA. Angesichts der Tatsache, dass Nachbarstaaten wie etwa Ungarn die Grenzen dichtmachen und auch aus Deutschland mittlerweile hunderte Flüchtlinge täglich nach Österreich zurückgeschickt würden, sei die Republik gezwungen, nationale Maßnahmen zu ergreifen.

Konrad gegen Obergrenzen

Der Flüchtlingskoordinator der Regierung, Christian Konrad, ist gegen die von der ÖVP geforderte "Obergrenze" für Asylwerber. "Wenn Asylwerber kommen, die wir nicht unterbringen, dann müssen wir diese Kapazitäten eben schaffen", so Konrad in den "Salzburger Nachrichten". Wie er in der "Tiroler Tageszeitung" und den "Vorarlberger Nachrichten" ergänzt, schweben ihm 50.000 Plätze in "Low-cost-Quartieren" vor.

Es könne nicht sein, "dass wir ab einer bestimmten Grenze keine Asylbewerber mehr aufnehmen", betont der VP-nahe frühere Raiffeisen-Manager angesichts des Vorschlags seiner Partei, die Asylwerberzahl zu begrenzen. Integrationsunwilligen könne man Sozialleistungen kürzen, Wirtschaftsflüchtlinge abschieben, so Konrad: "Aber Asylberechtigte, da haben wir eine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, uns derer anzunehmen. Auch wenn sie einmal – Pardon – neben das Klo scheißen."

Vorarlbergs Sicherheitslandesrat Erich Schwärzler (ÖVP) will kriminelle Asylwerber grundsätzlich aus dem Land bringen. "Wer ein Strafregister hat, darf kein Asyl bekommen", forderte Schwärzler am Dienstag in einem Pressegespräch. Dafür werde er sich bei der Bundesregierung einsetzen. Wie seine Haltung umgesetzt werden könnte, war aber noch unklar. Das werde man mit Experten erarbeiten müssen. (APA, 12.1.2016)