Bundespräsidentschaftswahlkämpfe leiden unter dem Vorurteil, dass sie nie wirklich spannend seien, weil die Antwort auf ihre entscheidende Frage: "Wer wird gewinnen?" schon von Anfang an feststehe. Nämlich: "Wurscht."

Dieser in der Bevölkerung grassierenden Prädisposition versucht man seitens der Parteien mit allen möglichen, die Bedeutung des Amtes und der zur Wahl stehenden Personen betonenden Inszenierungstricks zu begegnen. So früh wie heuer wurde damit noch nie begonnen. Die ÖVP hat es geschafft, aus der Nominierung ihres Kandidaten ein Mysterienspiel zu machen, dessen Ende beim Zuseher fassungsloses Staunen auslöst.

Dieses Gefühl verdanken wir Erwin Pröll, der in mehreren Interviews unmissverständlich erklärt hat, dass er am 17. Dezember des Vorjahres Reinhold Mitterlehner sein Nichtantreten mitgeteilt habe. (Zitat: "Das habe ich dem Vizekanzler klar gesagt, das hat er auch zur Kenntnis genommen.") Das würde bedeuten, dass Mitterlehner erst exakt drei Wochen später, am 7. Jänner, bereit war, diese Erkenntnis mit der von ihm angeführten Partei zu teilen. Denn in diesen drei Wochen haben sich zahlreiche ÖVP-Spitzenfunktionäre zu Wort gemeldet, um ihre Unterstützung für den Präsidentschaftskandidaten Pröll zum Ausdruck zu bringen.

Geradezu akrobatisch wirkt das Täuschungsmanöver des Parteiobmanns, wenn man bedenkt, dass er während dieser Zeit auch noch einen neuen Kandidaten gesucht haben soll. Wie darf man sich das vorstellen? "Hallo, hier spricht der Chef. Du, stell dir vor, durch seine BP-Kandidatur ist der Erwin parteiintern auf einmal total beliebt. Tät dich das nicht auch einmal reizen?"

Doch niemand dürfte diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstanden haben. Am wenigsten wohl Andreas Khol, der behauptet, am 30. Dezember einen Anruf des Vizekanzlers bekommen zu haben, davon aber offenbar völlig unbeeindruckt am 5. Jänner erklärte: "Die Partei liegt Erwin Pröll zu Füßen."

Warum Mitterlehner diese bizarre Vorgangsweise gewählt hat und sich dabei in der öffentlichen Wahrnehmung zum Pressesprecher des niederösterreichischen Landeshauptmanns degradieren ließ, ist total rätselhaft. Bleibt als einzige Erklärung, dass Erwin Prölls Aussagen und die Realität nicht vollständig deckungsgleich sind. Vielleicht wurde er bei dem vorweihnachtlichen Gespräch ja missverstanden und hat das nicht bemerkt, weil er noch unter dem Schock seiner eigenen Entscheidung stand. Deren Motive könnten das sonst verlässlich um sich selbst kreisende Bewusstsein des Landeshauptmanns kurzfristig aus der Bahn geworfen haben, zum Beispiel durch plötzlich auftauchende Fragen wie: Dürfen bei dieser Wahl auch Menschen westlich von Amstetten und südlich des Semmerings abstimmen? Werde ich im Wahlkampf auch auf niederösterreichische Wohnbaugelder angesprochen? Wird dieses Thema unter einem LH-Nachfolger Sobotka virulenter werden? Kann ich Sobotka nur durch Johanna Mikl-Leitner verhindern? Und wird das St. Pöltner Landhaus dann zum Knusperhäuschen?

So konnte es möglicherweise passieren, dass Reinhold Mitterlehner ein gequält herausgepresstes "Ja!" völlig falsch interpretiert hat. (Florian Scheuba, 13.1.2016)