Der Anschlag in der indonesischen Hauptstadt Jakarta hat die Aufmerksamkeit des Westens auf den südostasiatischen Inselstaat gelenkt, der Heimat von 250 Millionen Menschen ist und die zahlenmäßig größte muslimische Bevölkerung der Erde beherbergt. Felix Heiduk, Südasienexperte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), gibt Einblicke in ein Land, das als Musterbeispiel für die erfolgreiche Demokratisierung einer islamisch geprägten Gesellschaft gilt.
STANDARD: Indonesien gilt als Bastion eines moderaten Islam, seit einigen Jahren scheint das Land mit der zahlenmäßig größten muslimischen Bevölkerung konservativer zu werden. Woran liegt das?
Heiduk: Seit mehreren hundert Jahren ist der religiöse Mainstream eher moderat, es gibt aber schon seit einigen Jahrzehnten Minderheitenpositionen mit entsprechender Ideologie, die auf einen streng islamisch geprägten Staat abzielen. Ab den frühen 80er-Jahren hat das autoritäre Suharto-Regime versucht, den Islam als Herrschafts- und Legitimationsinstrument zu nutzen. Wie auch in anderen Ländern wurde zudem in Indonesien ab den späten 70er-Jahren die konservative Ideologie der saudi-arabischen Wahhabiten über religiöse Schriften, Predigten und Stipendien importiert. Nach 9/11 lässt sich auch bei moderaten Teilen der Bevölkerung eine zunehmende Perzeption eines Kampfes der Kulturen feststellen, bei dem die Kontrahenten Islam und Westen heißen. Vor allem in urbanen Zentren hat die Islamisierung außerdem auch bei der aufstrebenden Mittelschicht angedockt, die auf der Suche nach ideologischer Orientierung ist. Es gibt aber keinerlei direkten kausalen Zusammenhang zwischen dieser konservativer werdenden Gesellschaft und der Ausübung islamistischer Militanz.
STANDARD: Neben den Philippinen ist Indonesien die einzige große Demokratie in der Region. Wie stabil ist sie?
Heiduk: Natürlich funktioniert die indonesische Demokratie alles andere als perfekt, in puncto Minderheitenschutz und interreligiöser Dialog etwa wurde in den vergangenen Jahren von der Regierung viel verabsäumt. Umfragen geben aber seit langem keinerlei Hinweise darauf, dass in der Bevölkerung der Wunsch nach dem Ende der Demokratie besteht. Die indonesische Demokratie wird durch Anschläge wie jenen in Jakarta sicherlich nicht unterminiert werden.
STANDARD: Aus dem 250-Millionen-Einwohner-Land sind höchstens 700 Kämpfer für die Terrormiliz "Islamischer Staat" in den Kampf gezogen, weniger als aus viel kleineren europäischen Ländern wie Frankreich. Wie kommt das?
Heiduk: Einerseits ist Indonesien ein sehr viel ärmeres und geografisch entfernteres Land als die Staaten Europas, andererseits sind die Verbindungen in den Nahen Osten weit nicht so stark. Mich hat eigentlich eher verwundert, dass überhaupt Indonesier für den IS kämpfen, weil sich der militante Islamismus bis jetzt meist in lokalen Gruppen manifestiert hat. Der IS hat es vermocht, transnational ideologische und praktische Anreize zu schaffen, dass Indonesier in so weit entfernte Regionen reisen, um zu kämpfen. Zuletzt war das in Afghanistan in den 80er-Jahren der Fall, wo es auch Indonesier aufseiten der islamischen Mujaheddin gab. Der Unterschied zu damals ist, dass viele der in jüngster Vergangenheit ausgereisten indonesischen Jihadisten ihre Familien mitgenommen haben. Zudem pflanzt sich die Spaltung der Jihadistenszene im Nahen Osten auch in Indonesien fort, der kleinere Teil der Ausgereisten kämpft für die Al-Kaida-nahe Nusra-Front, der größere Teil für den IS.
STANDARD: Welche lokalen Terrorgruppen sind denn in Indonesien aktiv?
Heiduk: Die bekannteste ist Jemaah Islamiyah, die seit etwa 2000 spektakuläre Bombenanschläge, vor allem jene auf die Nachtklubs in Bali im Oktober 2002, durchgeführt hat. Gegründet wurde die Gruppe unter anderem von Afghanistan-Rückkehrern, die über ein Netzwerk auch in Malaysia und den Philippinen verfügten. Infolge massiver staatlicher Repression und interner Auseinandersetzungen wurde die Gruppe nach 2002 stark geschwächt. Ehemalige Mitglieder haben danach die Gruppe Mujahidin Indonesia Timur gegründet, die vor allem in ihrer Hochburg Sulawesi staatliche Sicherheitskräfte angreift und in Propagandavideos mit dem Sturm auf den Präsidentenpalast in Jakarta droht.
STANDARD: Wie hat die indonesische Regierung auf die Anschläge von Bali reagiert?
Heiduk: Die Regierung war aufgrund der innenpolitischen Situation sehr darauf bedacht, nicht den Anschein zu erwecken, sie trage den US-geführten Krieg gegen den Terror nach Indonesien. Gleichzeitig wurde nach den Bali-Anschlägen eine Anti-Terror-Spezialeinheit der Polizei gegründet, um die Netzwerke zu zerschlagen. Bei diesen Einsätzen wurden eine ganze Reihe von Mitgliedern der Jemaah Islamiyah getötet oder verhaftet, die Drahtzieher der Attentate wurden zum Tod verurteilt und hingerichtet. Weniger effizient waren die Behörden hinsichtlich der Deradikalisierung der Inhaftierten. Obwohl die Regierung ihr Programm als große Innovation feierte, zeitigte es nur wenig Erfolge. Viele der aus der Haft Entlassenen schlossen sich erneut lokalen Terrorgruppen an – oder reisten ungehindert nach Syrien aus.
STANDARD: Wie geht man mit religiösen oder ethnischen Minderheiten um?
Heiduk: Indonesiens Verfassung ist keine islamische Verfassung und garantiert die Religionsfreiheit. Die Staatsideologie Pancasila schreibt den Glauben an einen nicht näher spezifizierten Gott in der Verfassung fest. In der Realität wird dieses Bild etwas brüchig. Zum einen gibt es eine ganze Reihe von sogenannten islamischen Sekten, zum Beispiel Ahmadiyya, die von radikalen Islamisten massiv bedroht werden. In einigen Teilen Indonesien gilt diese Bedrohung auch für die christliche Minderheit, die sich in einigen Fällen mit gewaltsamen Protesten gegen das Abhalten von Gottesdiensten oder den Neubau von Kirchen konfrontiert sah. Weiter kompliziert wird diese Situation durch die sehr ambivalente Haltung der Regierung, die sich des Themas Religionsfreiheit nicht wirklich annimmt und Verstöße gegen das Recht auf freie Religionsausübung kaum ahndet. (Florian Niederndorfer, 14.1.2016)