Seit Freitag offiziell Kandidat der SPÖ zur Bundespräsidentschaftswahl: Rudolf Hundstorfer.

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Wien – Rudolf Hundstorfer ist nicht das, was man eine Rampensau nennt. Die Stimme ist zu leise für Mikrofone, seine Formulierungen liefern selten Schlagzeilen. Vor der Kamera wirkt der 64-Jährige spröder als er im echten Leben ist, das Scheinwerferlicht kann ihm bei so manchem Anlass gestohlen bleiben – etwa wenn Hundstorfer, im kleinen Kreis und ohne Journalisten, Flüchtlingslager oder Sozialprojekte besucht.

Es ist die Aura des angegrauten Gewerkschaftsfunktionärs, die manche SPÖ-Kollegen für die Präsidentenwahl Schlimmes befürchten lässt. Ein Typ wie Hundstorfer, glauben Genossen, ziehe maximal bei roten Stammwählern; aus anderen Lagern werde er als einziges Regierungsmitglied unter den Kandidaten nur den geballten Frust über die rot-schwarze Koalition abbekommen.

Unsichere Mission statt mächtigem Ministerium

Vielleicht sind es gerade diese Zweifel, die Rudolf Hundstorfer angespornt haben, das mächtigste Ministerium in SP-Hand für eine unsichere Mission aufzugeben. Vom Notnagel zum Dauerbrenner: Dieses Kunststück ist dem Spätaufsteiger aus Wien-Favoriten schon einmal gelungen.

Hundstorfer war bereits 55, als ihn ein Krisenfall nach Jahren in geschützter Werkstätte in die erste Reihe bugsierte. Im Wiener Rathaus war er vom Kanzleilehrling zum mächtigen und machtbewussten Chef der Gemeindebediensten aufgestiegen – um 2006 die Gunst einer für seine Hausmacht ungünstigen Stunde zu nützen. Im Sog des Skandals um die hauseigene Bank Bawag suchte die Gewerkschaft einen neuen Frontmann. Weil die Chefs der mächtigen Teilorganisationen weder einig noch mutig genug waren, sprang Hundstorfer als Kompromisskandidat ein.

Zweieinhalb Jahre später die nächste Krise, der nächste Aufstieg: Die Gewerkschaft betrieb eifrig den Sturz von Kanzler und SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer mit, Nachfolger Werner Faymann lohnte es Boss Hundstorfer mit dem Posten des Sozialministers.

Die Ausländerkarte nicht ausgespielt

Die Rolle des Troubleshooters blieb ihm erhalten, zumal der Amtsantritt mit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise zusammenfiel. Die Arbeitslosigkeit wurde zum permanenten Stimmungskiller: Erst stieg sie dank Notmaßnahmen von Regierung und Sozialpartnern langsamer als befürchtet, dann jedoch schneller als erhofft. Die zentralen Gründe, das lässt sich schwer bestreiten, liegen außerhalb der Reichweite des Ministers. Mageres Wachstum und starker Zuzug auf den Arbeitsmarkt feuern die Quote an – der Versuchung, alles auf die "Ausländer" zu schieben, erlag Hundstorfer dennoch nicht.

Getriebener war der Ressortchef auch in einer zweiten Schlüsselfrage. Von mageren Erhöhungen über saftige Abschläge bis hin zu Schranken für die Frühpension ließ er, wenn auch in gemächlichen Schritten, mehr Einschnitte im Pensionssystem zu, als das weitverbreitete Vorurteil einem Gewerkschafter als Minister zugestehen will. Die Kosten kletterten infolge von Alterung und Wirtschaftsflaute trotzdem nach oben.

Hinterzimmer statt Arena

Obwohl die ÖVP dies regelmäßig beklagt, genoss Hundstorfer beim Koalitionspartner lange eine gute Nachred. Mit Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner bildete er die stabilste Achse in einer nicht rund laufenden Koalition, wöchentlich erneuert bei einem Jour fixe am Montagmorgen. Zuletzt ist das Verhältnis jedoch abgekühlt. Seit dem Aufstieg zum VP-Chef muss Mitterlehner angriffiger auftreten, ein Stil, der Hundstorfer nicht liegt. Als Prototyp eines Sozialpartners zieht er Verhandlungen hinter verschlossenen Türen dem Schlagabtausch in der Arena vor – nicht die beste Qualifikation für einen anstehenden Wahlkampf.

Ein Trumpf ist hingegen der Rückhalt in den eigenen Reihen: Wiener SPÖ und Gewerkschafter werden sich bedingungslos für ihren "Rudi" ins Zeug legen. Überdies spricht die anbrechende Ballsaison für einen guten Kampagnenstart. Die Salons des Bürgertums bieten eine glänzende Bühne für staatstragende Auftritte – und auf diesem Parkett, heißt es, bewege sich Ballroutinier Hundstorfer so gewandt, wie man es einem Vertreter der Arbeiterklasse kaum zutrauen möchte. (Gerald John, 16.1.2016)