Thomas Zimmermann turnte sich in den Code de Pointage.

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Untermeitingen/Wien – "Der Körper ist ein Abfallprodukt der täglichen Arbeit", sagt Thomas Zimmermann, gesteht aber gleich ein, dass das etwas überspitzt formuliert gewesen ist. Zimmermanns Abfallprodukt ist 1,72 Meter hoch. Daran hat sich seit seiner Glanzzeit als eher großgewachsener Turner logischerweise nichts geändert. Seinerzeit wog er rund 63 Kilogramm, heute, da der 43-Jährige aus Zeitgründen nicht mehr zum Turnen kommt, allenfalls etwas Tennis spielt und ab und an auf dem Rad sitzt, sind es vielleicht um fünf Kilogramm mehr. Was moderat klingt, bedauert der Vorarlberger, schließlich hat er lange und intensiv an einem perfekten Körper gearbeitet. Nie aus Eitelkeit, sondern um die Balance zu finden "zwischen Kraft und Leichtigkeit. Und für Eleganz."

Zimmermann war lange in Balance. Er war der erfolgreichste österreichische Turner nach seinem Vorarlberger Landsmann Hans Sauter, dem 2014 gestorbenen Rekordstaatsmeister, der viermal olympisch turnte, 1952 in Helsinki Sechster und 1955 EM-Dritter war, jeweils am Pauschenpferd.

Energie und Einsatz

Dieses Gerät lag auch Zimmermann besonders, aber ebenso der Sprung. Davon freilich war noch keine Rede, als Hausfrau Berta und Busfahrer Gebhard Zimmermann beschlossen, ihren fünfjährigen Sohn überschüssige Energien im Turnverein der Vorarlberger Gemeinde Weiler ausleben zu lassen. "Ich war ein Kind mit großem Bewegungsdrang, hyperaktiv", sagt Zimmermann. Die Eltern hätten viel geleistet, aber bescheiden gelebt. Der Bub eiferte ihnen turnerisch nach: "Es ist eine sehr intensive Sportart, in der Begeisterung und auch Talent nicht genügen. Es braucht Einsatz, Durchhaltewillen."

Alternativlosigkeit hilft natürlich: "Heute ist das Angebot für die jungen Leute enorm. Und die Mobilität ist auch eine andere. Als ich im Volksschulalter war, gab es bei uns den Musikverein, die Feuerwehr und den Turnverein." Zimmermann war immer einer der Jüngsten in seiner Riege, das war ein Ansporn, auch nachdem er zur Turnerschaft Röhtis der Nachbargemeinde gewechselt war. "Ich hatte nur Turnen im Kopf."

Schulisch war das ein Problem, die Aufnahme ins Sportgymnasium Dornbirn schaffte Zimmermann im Gegensatz zu einigen Vereinskollegen nicht – im Nachhinein ein Glücksfall. Denn während viele der Gymnasiasten, die optimale Trainingsbedingungen vorgefunden hatten, nach der Matura ihre Karriere beendeten, biss sich Zimmermann durch, absolvierte quasi neben der Turnerei die Hauptschule und eine körperlich sehr fordernde Lehre als Werkzeugmacher. Man hatte einen Leistungseinbruch bei ihm befürchtet, "aber es ging steil bergauf". Denn ein Trainertrio, die Herren Franz Marte, Manfred Moosmann und Dezsö Bordan, machte gleichsam den Abend zum Tag, richtete die Trainingszeiten also nach dem talentierten Schützling aus.

Vorarlberg und die Schweiz

Mit 17 qualifizierte sich Zimmermann für seine erste WM, er fand Aufnahme in der Heeressport- und Nahkampfschule, ins Leistungszentrum Dornbirn. Er sammelte Meistertitel. 38 sollten es bis 2004 werden, nur fünf weniger, als Sauter gewonnen hat. Im Mehrkampf fehlte nur ein Triumph zu dessen acht.

Zimmermann schmückte 13 Welt- und neun Europameisterschaften. Alleine die olympische Chance bekam er nicht. "Mit 23 Jahren war ich knapp dran." Tatsächlich fehlten in der Qualifikation nach zweimal sechs Geräten nur fünf Hundertstelpunkte, "aber ich wäre trotzdem nicht mitgenommen worden". Seinerzeit waren den nationalen Olympiern international geforderte Leistungen nicht genug. Mag auch sein, dass Vorarlberg den Mächtigen in Wien nicht nahe genug lag.

Zimmermann hat sich reichlich entschädigt. Er turnte in der deutschen Bundesliga für den TV Nellingen nahe Stuttgart und mit der Schweizer Nationalmannschaft in Magglingen, wo ihn Chefcoach Peter Kotzurek als Vorbild für seine Jungmänner sah, "privat und in der Turnhalle". Das war keine geringe Ehre, ist doch die Schweizer Turnerei über die österreichische zu stellen. Der Verein und der Vorarlberger Turnerbund sahen das ebenso und unterstützten nach Kräften.

Und schließlich verewigte sich Thomas Zimmermann noch im Reglement des internationalen Kunstturnens, dem Code de Pointage. Dort, in der Sektion 13, in der Kategorie der Überschlag- und Yamashitasprünge, ist er zu finden, der Zimmermann, ein Überschlag vorwärts und Salto vorwärts gehockt mit halber Drehung und Salto rückwärts gehockt.

Vorteil und Verhängnis

So etwas kommt einem nicht einfach aus. "Ich war sehr sprungkräftig", sagt der Namensgeber. Und es gab 2001 eine Umstellung vom eher langen Gerät namens Pferd zum eher breiten Sprungtisch. "Das ließ eine andere Technik zu, vergleichbar mit dem Wechsel von Normal- und Kippstangen im Skilauf", sagt Zimmermann. Der profitierte zudem von einer Trainingsgemeinschaft mit zwei Letten, mit Igor Vichrov, 2000 Olympiasieger am Boden, und Evgeny Sapranenko, der 2004 Sprungsilber gewann. Zimmermann übte auf weichen Matten, mit dem Trampolin, feilte an seinem Sprung. Im April 2002 sollte er sein Trumpf bei der EM in Patras sein. Er wurde ihm aber zum Verhängnis – Zimmermann erlitt eine schwere Knieverletzung. Aber der Jungehemann – 2001 hatte er Isabell geheiratet, Tochter Sofia ist fünf Jahre alt – kämpfte sich mit der ihm eigenen Beharrlichkeit zu seinem Topniveau zurück und kam sogar noch zu seinem wertvollsten Ergebnis. Im November 2002 erreichte er als erster Österreicher ein Weltcupfinale, belegte in Stuttgart unter den acht besten Turnern am Pauschenpferd den fünften Rang.

2004, nach der knapp verpassten Qualifikation für Olympia in Athen, war Schluss. Auch aus Zeitmangel. Zimmermann holte an der Abendhandelsakademie die Matura nach, studierte an der FH Wirtschaftsingenieur, ließ den Master in International Marketing & Sales folgen. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in den USA, wo Isabell für einen europäischen Werkzeughersteller arbeitete, wurde die Familie in Untermeitingen bei Augsburg sesshaft. Thomas Zimmermann pendelt nach Liechtenstein, arbeitet in der Autozulieferindustrie als Großkundenbetreuer.

Tochter Sonja bekommt Tanzstunden. Auch das Turnen würde ihr der Vater, nach dem ein Vorarlberger Nachwuchscup benannt ist, gestatten. Schon zum Besten eines – etwas überspitzt formuliert – gesunden Abfallprodukts. (Sigi Lützow, 18.1.2016)