Zwei der Fotos, die eine Frau während des Zwischenfalls von den mutmaßlichen Angreifern machen konnte.

Foto: privat
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Graz – Nach dem offiziellen Ende zweier Kundgebungen vor der Kirchnerkaserne am Sonntagnachmittag in Graz soll es zu einem schweren Zwischenfall unweit der Kaserne in der Eduard-Keil-Gasse gekommen sein. Zuvor hatten Mitglieder der rechtsextremen Gruppe Identitäre Österreich, einige von ihnen aus Wien, Anrainer und Funktionäre der Grazer FPÖ sowie der Landtagspräsident Gerhard Kurzmann (FPÖ) gegen die Eröffnung eines Asylzentrums in der Kirchnerkaserne demonstriert. Die Offensive gegen Rechts rief zur Gegendemonstration auf – DER STANDARD berichtete. Während der Kundgebungen, die in Sichtweite voneinander stattfanden, kam es zu keinen Zusammenstößen – auch dank eines Großaufgebots von Polizisten.

Übergriff nach Ende einer ruhigen Demo

Doch nach Ende der Demos, um etwa 15.20 Uhr, sollen vier junge Studierende aus Wien attackiert worden sein, die zuvor bei der antirassistischen Kundgebung der Offensive gegen Rechts, die auch von den Jungen Grünen unterstützt wurde, gewesen waren.

Zwei Männer, die dem Umkreis der Identitären Bewegung zugerechnet werden, wurden in der Folge von der Polizei festgenommen. Sie und fünf weitere Männer sollen die zwei jungen Männer und zwei Frauen, die auf dem Rückweg zu ihrem in einer Seitengasse geparkten Auto waren, überfallen haben. Ein weiterer mutmaßlicher Angreifer ist laut den vier mutmaßlichen Opfern ebenfalls – aufgrund von Facebook-Einträgen und öffentlichen Auftritte – den Identitären zuzurechnen.

Zwei der vier Studierenden aus Wien erzählten am Montagvormittag dem STANDARD, wie sie den Angriff erlebt haben: "Wir sind kurz vor 15 Uhr, als beide Kundgebungen aufgelöst wurden, von der Kaserne weggegangen, um zu unserem Auto zu gehen. Das haben wir extra weit weg geparkt, weil die Organisatoren der Gegendemo im Vorfeld in sozialen Netzwerken gewarnt haben", berichtet einer der beiden, ein 26-Jähriger. "Wir sind in die Raiffeisenstraße eingebogen und dann in die Eduard-Keil-Gasse gegangen."

"Die haben uns aufgelauert"

In der eher ruhigen Gegend, fernab der Innenstadt, seien ihnen "plötzlich wie aus dem Nichts von hinten sieben Männer" nachgelaufen, so der junge Mann weiter. "Sie schrien 'Génération identitaire' und gingen mit ausziehbaren Schlagstöcken auf uns los. Einer hatte einen Gürtel, den schleuderte er und versuchte uns mit der Eisenschnalle zu treffen." Man habe sich so gut wie möglich zu wehren versucht.

Der 26-jährige Student glaubt: "Die haben uns aufgelauert, einer von ihnen ist während der Kundgebung immer wieder durch unsere Reihen marschiert, hat sich unsere Gesichter eingeprägt, und ein anderer hat uns auch fotografiert." Auch mit einem Teleskopschlagstock, einem sogenannten Totschläger, habe man auf die vier eingeschlagen, "so heftig, dass ein Teil abgebrochen ist", so der Student. Dieser Teil konnte später von der Polizei sichergestellt werden.

Ein anderer Mann hatte einen Mundschutz vor die Zähne geklemmt, wie ihn Boxer tragen, was auch auf den Fotos deutlich erkennbar ist. "So etwas nimmt man doch nicht zu einer normalen Demo mit", sagt der 26-Jährige. Er und seine Freunde waren am Montag in Betreuung durch den Weißen Ring.

Frau: "Er hat mich gewürgt"

Auch vor den jungen Frauen soll die Gewalt der Angreifer nicht haltgemacht haben. Einer der beiden später festgenommenen Männer habe auch sie "geschlagen, das habe ich mit den Händen abzuwehren versucht", erzählt eine 22-jährige Studentin dem STANDARD. Die Frau schaffte es, den Überfall teilweise mit ihrer Kamera zu dokumentieren, weshalb einige Angreifer identifiziert werden konnten. Sie nehme an, auch wegen ihrer Kamera sei einer der beiden später festgenommenen Männer gezielt auf sie losgegangen: "Er hat mir beide Hände um den Hals gelegt und mich gewürgt", erzählt die Frau.

"Das war ein organisierter, geplanter Überfall", sagt der 26-Jährige, "der auf eine Radikalisierung hinweist. Die überfallen jetzt einfach Leute, weil sie einen Rückenwind haben. Aber wir werden uns nicht einschüchtern lassen."

Polizei schnell vor Ort

Der Albtraum hatte für die vier Wiener und Wienerinnen ein Ende, als sie versuchten, vorbeifahrende Autos auf ihre Notlage aufmerksam zu machen. Ein Passant habe dann den Polizeinotruf abgegeben. "Die Polizei war schnell da und freundlich zu uns", sagt die junge Frau, "ein Auto ist gleich unseren Angreifern nachgefahren, ein zweites kam dann und kümmerte sich um uns." Zwei der Angreifer wurden danach auf demselben Revier festgehalten, auf dem sie und ihre Freunde ihre Aussagen machten, so die junge Frau. Auch ihre Verletzungen und die der zweiten, 25-jährigen Frau, Hämatome und Abschürfungen, wurden dokumentiert.

Auch der grüne Nationalratsabgeordnete Albert Steinhauser warnt nach dem Überfall vor der Gefährlichkeit der Identitären: "Die Identitären tarnen sich gerne als weichgespülte rechte Aktionsgruppe. Der ORF hat sie deshalb sogar als Bürgerinitiative zum Bürgerforum eingeladen. Das ist zu Recht kritisiert worden", sagt Steinhauser. "Vorfälle wie diese zeigen das tatsächliche Gewalt- und Bedrohungspotenzial dieser rechtsextremen Gruppe und ihrer Stiefelabteilungen."

Erhebungen wegen schwerer Körperverletzung

Die Polizei bestätigte den Vorfall am Montag. Dass es dazu am Sonntag keine Aussendung gab, sondern nur eine, in der es hieß, es sei zu "keinerlei Zwischenfällen" gekommen, begründet Polizeisprecher Leo Josefus so: "Der Vorfall wurde von zwei Streifen betreut, und beide haben keine Meldung gemacht. Jeder hat gedacht, der andere macht eine." Die Anzeige, die über Notruf einging, lautete auf "Raufhandel".

Zwei Männer konnten jedenfalls sofort festgenommen und einvernommen werden, auch das bestätigt der Polizeisprecher. In den Ermittlungen stehe man aber noch am Beginn. Nur so viel könne er sagen: "Die Erhebungen laufen auf schwere Körperverletzung." Zur strafrechtlichen Erklärung: "Wenn sie in Verabredung geschehen ist, wird auch eine leichte Körperverletzung automatisch zu einer schweren."

Die beiden Festgenommenen, 21 und 26 Jahre alt, verweigerten bei der Vernehmung jegliche Angaben, so die Polizei. Einer habe "eine leichte Kopfverletzung" aufgewiesen, deren Ursprung aber unbekannt sei. Nach weiteren, bisher unbekannten Verdächtigen werde gesucht, hieß es später in einer Polizeiaussendung.

Ein Abschlussbericht wird der Staatsanwaltschaft Graz übergeben werden, "diese wird die Tat dann strafrechtlich beurteilen", so Josefus.

Identitäre erheben ihrerseits Vorwürfe

Kurz nach Bekanntwerden des Vorfalls über den STANDARD verschickte die Identitäre Bewegung Österreich eine Presseaussendung, wonach "Linksextreme" zu den Wohnadressen führender Mitglieder vorgedrungen seien und an deren "privaten Wohnungstüren Drohbotschaften" hinterlassen hätten. Zudem sei es zu Sachbeschädigungen gekommen, die nicht näher beschrieben werden.

Auch von einem Vorfall nach der Kundgebung in Graz ist in der Aussendung die Rede. Allerdings beschreiben ihn die Identitären als "Zusammenstoß mit linksextremen Provokateuren". Wobei die Identitären selbst offenbar nicht ganz ganz sicher sind, wie viele sie während der Auseinandersetzung waren. "Rund fünf", heißt es in der Aussendung. Dabei sei einer ihrer Aktivisten verletzt worden. "Er erlitt dabei eine Platzwunde am Hinterkopf und Prellungen." In beiden Fällen sei Anzeige erstattet worden, heißt es in der Aussendung, in der Patrick Lenart, der Leiter des steirischen Flügels der Identitären, zitiert wird.

Letztere Anzeigen waren der Polizei laut Josefus allerdings am Montag auf Nachfrage des STANDARD noch nicht bekannt. "Ob weitere Verletzungsanzeigen einlangen, werden wir in den nächsten Tagen sehen", so Josefus. (Colette M. Schmidt, 18.1.2016)