Ein Soldat (Banlop Lomnoi), der von einer mysteriösen Schlafkrankheit befallen ist: In "Cemetery of Splendor" sind die Übergänge zwischen Traum und Realität fließend.

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Filmemacher und Künstler Apichatpong Weerasethakul.

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Wien – In seinen Filmen bewegt sich der Regisseur Apichatpong Weerasethakul an den äußeren Rändern des Erzählkinos, Reisen, für die er gerne seine Heimatstadt Khon Kaen im Nordosten Thailands zum Ausgangspunkt nimmt: wie in "Tropical Malady", als Weerasethakul eine schwule Soldatenromanze in einem Tiger-Wahngespinst spiegelte, oder in "Blissfully Yours", in dem er die Liebesgeschichte seiner Eltern als Krankenhausdramolett mit Märchenelementen weitererzählte. Sein neuer Film "Cemetery of Splendor" folgt einer älteren Frau bei ihren Pflegediensten in einer Station für schlafkranke Soldaten, die wachsende Schwierigkeiten mit der Realität haben: "Ich glaube, dass das ein Traum ist. Ich möchte jetzt wieder aufwachen."

"Cemetery of Splendor" lässt Weerasethakuls Fantasiegewächse in seinem eigenen Dschungel aus Wirklichkeit, Mythen und privaten Erinnerungen wuchern. Seine Laiendarsteller sind Teil einer Filmfamilie geworden, die der Regisseur auch auf seiner Website "kickthemachine.com", in seinen Installationen und Kurzfilmen verewigt.

STANDARD: In "Cemetery of Splendor" wechseln die Figuren bruchlos zwischen Traum- und Realitätsebenen. Nutzen Sie Ihre eigenen Träume als Quelle der Inspiration?

Weerasethakul: In "Uncle Boonmee" habe ich einmal einen meiner Träume buchstäblich übernommen, als die Figur stirbt und über die Zukunft spricht. Aber meistens verwende ich weniger die Inhalte als die Form der Traumlogik. Bei mir ist das ganz nahe an den kleinen Verschiebungen in den Bildern oder in der Ordnung, die es im Traum gibt.

STANDARD: Haben die Spielfilme einen anderen Status in Ihrem Werk als die Kurzfilme oder Kunstinstallationen?

Weerasethakul: Ich versuche eigentlich, keine Hierarchie zu bilden. Aber natürlich ist es sehr schwierig, einen Film zu produzieren, es braucht so viele Jahre und so viel Geld. Dadurch sieht das schnell so viel größer aus – buchstäblich. Die verschiedenen Ausdrucksweisen berühren die Frage, wie man die Arbeit mit bewegten Bildern betrachtet, welche Bedeutung die Interaktion mit dem Publikum hat. Im Kino hat man alle Fäden in der Hand, mit einem passiven Publikum, fast wie Zombies. In Kunstinstallationen ist das Publikum dagegen extrem aktiv, es arbeitet mit eigenen Erfahrungen, um das Werk zu deuten. Über diese Unterschiede lerne ich viel über Bilder.

STANDARD: In "Cemetery of Splendor" inszenieren Sie in einem Kinopalast dazu eine passende Szene: Die Traumgestalten sind nicht die Figuren auf der Leinwand, sondern die Personen im Publikum.

Weerasethakul: Ich habe in der Arbeit an meinen Installationen gelernt, dass Film nicht nur mit Hypnose zu tun hat, sondern auch bedeuten kann, das Publikum ein wenig aktiver zu machen, als man es gewohnt ist. Damit man begreift, dass man gerade Teil einer Illusion ist, während man doch gerade selbst in einem solchen Raum sitzt.

STANDARD: Schauplatz ist erneut Ihre Heimatstadt, das inzwischen imaginäre Krankenhausgelände, in dem ihre Eltern arbeiteten. Wie wichtig ist das Autobiografische?

Weerasethakul: Für mich sind hier drei Orte zentral: die Schule, das Krankenhaus und das Kino, kombiniert zu einem imaginären Schauplatz. Aber auch bei anderen Elementen geht das hin und her. Manchmal ist es etwas metaphorisch geschrieben, und manchmal leibhaftig da. Wie die Idee des Schlafes – als Kontrollverlust im eigenen Leben.

STANDARD: In früheren Filmen haben Sie immer wieder mit Spiegelungen der Erzählung gearbeitet. In "Cemetery of Splendor" kommt man sich als Zuschauer wie in einer Drehtür vor, die einen ständig in neue Ebenen transportiert.

Weerasethakul: Ich habe Spaß daran, Dinge zu mischen. Wie die Passagen aus der Stadt mit dem Wald oder die Kontraste, die Liebe und Leiden mit sich bringen. Ich vermisse die MC-Kassetten, die man umdrehen musste, um die andere Seite zu hören.

STANDARD: In einer Szene des Films platzieren Sie bei einem Blick in den Himmel eine Amöbe neben eine Wolke. Entstehen Ihre Spiele mit diesen Betrachtungsebenen vor einem buddhistischen Hintergrund?

Weerasethakul: Das spielt schon immer wieder eine Rolle. Ich habe nach "Tropical Malady" und dem Tod meines Vaters begonnen, mich mehr damit zu beschäftigen. Ich wollte Frieden bei der Lektüre von buddhistischen Schriften finden, aber das zugleich vom Exzess der Rituale lösen. Meditation hat bestimmt einen Einfluss darauf, wie ich die Welt und die Illusion von Zeit, von Wahrnehmung und von Erzählungen sehe. Für mich ist Meditation keine Religion, sondern eine Philosophie. Eine praktische Sache, in der man seine Denkmuster zu entdecken sucht. In der Meditation kann man sehen, wie die Gedanken laufen. Wie eine Kamera, die sich in diverse Richtungen bewegt. Man kann das gut aufs Kino beziehen.

STANDARD: Haben Sie sich für die Traummanipulationstechniken im Film von der Wirklichkeit inspirieren lassen?

Weerasethakul: Es gibt tatsächlich ein Experiment des MIT, in dem die Wirkung von verschiedenen Farbspektren bei der Herstellung von falschen Erinnerungen bei Mäusen untersucht wurde. Das ist das Kino der Zukunft, eine Manipulation der Erinnerung auf zellularer Ebene. Die Idee habe ich in den Film transportiert: dass man mit farbigem Licht auch ein neues Narrativ in den Köpfen dieser Soldaten herstellen könnte. Wie im Publikum, das im Kino sitzt.

STANDARD: Wenn Sie selbst ins Kino gehen, suchen Sie dann ein First-Person-Cinema, Avantgardekino oder auch Unterhaltungskino?

Weerasethakul: Oh, wenn ich anfange zu essen, dann alles: auch Junkfood, viel Hollywood. In Thailand wird das noch dadurch verstärkt, dass es schwer ist, andere Filme zu sehen. Ich habe viele DVDs mit Autorenfilmen, aber ich sehe sie nie, weil ich die Kinoerfahrung so mag. Ich habe mehr übers Autorenkino gelesen als gesehen. Hollywoodkino schaue ich viel, weil ich Special Effects so mag. Der Aufwand, mit dem in Science-Fiction-Filmen jedes einzelne Bild hergestellt wird, ist faszinierend. Wenn ich damit spiele, ohne CGI, dann um diese traumartige Qualität herzustellen, an der mir so viel liegt. (Robert Weixlbaumer, 20.1.2016)