
Asylwerber vor einem Informationsschalter am Mittwoch, 9. Dezember 2015.
Wien – In Vorbereitung des Asylgipfels am Mittwoch soll sich die Bundesregierung auf eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen geeinigt haben, berichten "Krone" und "Kurier". Auch der APA wurde bestätigt, dass man sich auf eine "Obergrenze" oder einen "Richtwert" geeinigt habe.
ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner wollte am Abend im ORF-"Report" eine Einigung noch nicht bestätigen, dementierte aber auch nicht. Laut den Medienberichten will sich die Regierung künftig an der Bevölkerungszahl orientieren. Maximal 1,5 Prozent der Bevölkerung sollen in den nächsten Jahren Flüchtlinge sein, was aktuell zwischen 120.000 und 130.000 bedeuten würde. Kolportiert ist eine Verteilung auf drei oder vier Jahre, dies ergebe eine Summe von 30.000 bis 40.000 Flüchtlinge jährlich, die noch zusätzlich aufgenommen werden könnten.
Orientierung für EU
Unklar ist aber, ob diese Zahl tatsächlich rechtlich verankert werden soll. Mitterlehner meinte nur: "Es wird eine Art Obergrenze geben, auch zur Orientierung für die EU." Man könne nicht mehr "in der Dynamik Flüchtlinge aufnehmen. Das verursacht qualitative, quantitative und kulturelle Probleme."
Auf den Einwand, dass eine Obergrenze völkerrechtlich nicht möglich sei, wie das zuletzt auch der Präsident des Europäischen Gerichtshofs deponiert hatte, antwortete Mitterlehner: "Das ist eine qualifizierte, aber persönliche Meinung." Antworten, was bei Überschreiten der Obergrenze passieren soll, konnte Mitterlehner jedenfalls nicht geben. Das kläre man gerade rechtlich ab, verwies er auf in Auftrag gegebene Gutachten. Er könne sich aber vorstellen, dass diese Flüchtlinge in die von der EU geplanten Hotspots zurückgeschoben werden, und dort ihr Asylverfahren abwarten müssten.
36.000 entschiedene Fälle
Die Chancen, in Österreich Asyl zu erhalten, waren im Vorjahr jedenfalls groß. Schon in der ersten Instanz wurden von den mehr als 36.000 entschiedenen Anträgen knapp 14.000 positiv bewertet. Dazu wurde noch rund 2.200 Personen subsidiärer Schutz gewährt, geht aus der Jahresbilanz des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl hervor, die am Dienstag präsentiert wurde.
Dreimal so viele Anträge
Freilich wurde die erstinstanzliche Behörde vom Flüchtlingsstrom, der gesamt 90.000 Anträge mit sich brachte, auch gehörig unter Druck gesetzt. Der Leiter des Bundesamts, Wolfgang Taucher, fasste das Dilemma so zusammen: "Wir haben mit einem Drittel mehr Personal doppelt so viele Entscheidungen getroffen, allerdings gab es dreimal so viele Anträge." Damit ist auch mittlerweile ein gehöriger Rückstau von zu bearbeitenden Anträgen entstanden. Laut Taucher sind es 60.000 Fälle. Trotz 500 neuer Mitarbeiter im Bundesamt wird die durchschnittliche Verfahrensdauer in erster Instanz von 6,3 Monaten nicht zu halten sein.
Faymann will Grenzen schärfer kontrollieren
In der Flüchtlingsfrage setzt nun auch die SPÖ stärker auf die Devise, die Zahl der nach Österreich kommenden Menschen möglichst gering zu halten. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) betonte im Ministerrat, dass man an den Grenzen schärfer kontrollieren müsse. Jene Menschen, die bereits an der Grenze angeben, keinen Asylantrag in Österreich stellen zu wollen, könnten laut Faymann künftig verstärkt nach Slowenien oder Italien zurückgeschoben werden. Das könnte auch Flüchtlinge betreffen, die sich nicht ausweisen können oder schon an der Grenze angeben, dass sie etwa nach Schweden oder Deutschland weiterreisen möchten.
Europäisches Asylrecht
Um die Kontrollen zu bewältigen, wird die Zahl der an der Grenze zu Slowenien stationierten Bundesheersoldaten von 300 auf 500 aufgestockt. Dennoch seien Grenzkontrollen nur die "Notlösung", so Faymann. "Uns fehlt ein gemeinsames europäisches Asylrecht."
Das will auch Außenminister Sebastian Kurz von der ÖVP, der seinen Wunsch nach Obergrenzen auch im ZDF-"Heute-Journal" deponierte. Er glaubt, dass solche Höchstzahlen in Deutschland, Österreich oder Schweden auch zum Einziehen von Obergrenzen in Griechenland führen könnten.
Die Folge laut Kurz: Flüchtlinge in Krisenregionen würden sich dann erst gar nicht auf den Weg nach Europa machen, da sie wüssten, dass es keine Möglichkeit der Weiterreise gebe. Auch Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) betonte am Dienstag, dass die EU ihre Aufgabe wahrnehmen müsse.
Petition für 100.000er-Obergrenze
Der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl versucht indes mit einer Petition Druck für eine Obergrenze von 100.000 Flüchtlingen zu machen. Bis Dienstagmittag hatten mehr als 18.000 Menschen die Petition unterzeichnet.
Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (VP) wiederum droht, das Asylabkommen mit dem Bund zu kündigen, sollte die Regierung den "Flüchtlingsstrom nicht einbremsen". Die "Geschäftsgrundlage" für die 15a-Vereinbarung habe sich geändert, der Bund nehme seine Aufgabe, die Grenzen zu schützen, nicht wahr.
Vorarlberg warnt vor Obdachlosigkeit
In Vorarlberg könne man 2016 maximal 1.000 zusätzliche Quartiere schaffen. "Mehr ist nicht möglich, dann droht Obdachlosigkeit." Wallner warnt die Bundesregierung davor, "die Belastbarkeit auszutesten". Die Vorarlberger Grünen, Wallners Regierungspartner, wollen hingegen die Vereinbarung neu verhandeln und mehr Geld für Integrationsmaßnahmen erhalten. (jub, mte, simo, sterk, 19.1.2016)