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Hunderttausende in der indischen Großstadt Ahmadabad leben trotz einer wachsenden Wirtschaft auf der Straße.
Seit mehreren Jahren veröffentlicht die Entwicklungsorganisation Oxfam vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos einen Bericht über die wachsende Ungleichheit in der Welt, die regelmäßig Schlagzeilen macht. Damit die öffentliche Aufmerksamkeit nicht abbricht, müssen die Ergebnisse von Jahr zu Jahr dramatischer sein.
Für das Jahr 2015 zeichnet Oxfam tatsächlich ein Bild des Schreckens: Demnach besitzen die 62 reichsten Menschen der Welt so viel Vermögen wie die Hälfte der Menschheit. Im Jahr davor waren es noch 80, 2013 noch 85.
Das Vermögen dieser 62 ist laut Oxfam seit 2010 um eine halbe Billion Dollar gestiegen, das Vermögen der halben Menschheit in dieser Zeit um 41 Prozent, oder eine Billion Dollar, gefallen, sodass sie sich jetzt bei jeweils 1,76 Billionen Dollar treffen.
Die Schuldigen für Oxfam
Schuld an dieser furchtbaren Entwicklung sind für die NGO Steuerhinterziehung, eine zu geringe Besteuerung des Kapitals, fehlende Mindestlöhne, die Diskriminierung von Frauen, zu geringe Sozialausgaben und der Patentschutz für Pharmakonzerne, der ihnen exzessive Profite ermöglicht. Zumindest sind das die Bereiche, wo Oxfam Maßnahmen fordert, um die wachsende Ungleichheit einzudämmen.
Nun ist es keine Frage, dass die Ungleichheit in den meisten Ländern zunimmt und immer mehr zum Problem wird. Aber die Oxfam-Zahlen sind fragwürdig, unglaubwürdig und wahrscheinlich an entscheidenden Stellen frisiert. Die Organisation tut ihrer Sache damit keinen guten Dienst.
Forbes und Credit Suisse als Quellen
Oxfam hat selbst keine Zahlen erhoben, sondern nimmt sie aus zwei gut bekannten Quellen: der "Forbes"-Liste der reichsten Menschen der Welt und dem Weltvermögensbericht der Schweizer Großbank Credit Suisse.
Um das Gesamtvermögen der 62 reichsten Menschen zu berechnen, musste Oxfam nur die Zahlen aus der "Forbes"-Liste zusammenzählen. Das ist einfach und wahrscheinlich auch korrekt. Der Anstieg dieser Vermögen hängt mit der starken Entwicklung der Aktienmärkte der vergangenen Jahre zusammen. Angesichts der jüngsten massiven Kursverluste dürften die Vermögen heute wieder um einiges niedriger sein.
Gates und Bezos macht nicht Steuerbetrug reich
Allerdings ist es schwer zu argumentieren, dass der Reichtum von Bill Gates, Armancio Ortega (Inditex/Zara), Warren Buffett und Jeff Bezos vor allem auf Steuerhinterziehung beruht. Zwar sind die Kapitalertragssteuern in den USA zu niedrig, aber selbst bei höheren Sätzen würden ihre nicht realisierten Gewinne nicht besteuert werden.
Bei Bezos fällt auf, dass sein Vermögen nicht einmal durch hohe, vielleicht unversteuerte Gewinne von Amazon gespeist wird. Amazon macht seit Jahrzehnten nur Verlust, der Aktienkurs reflektiert Zukunftserwartungen der Investoren. Das lässt sich schwieriger besteuern.
Wo sind die Ersparnisse der Ärmeren hin?
Die große offene Frage ist, woher Oxfam die Aussage nimmt, dass die Hälfte der Menschheit in fünf Jahren 41 Prozent ihres Vermögens verloren hat. Im Vorjahresbericht war von einer solchen Entwicklung erstmals die Rede, in den Jahren davor nicht. Eine Massenvernichtung kleiner Ersparnisse in den vergangenen Jahren hätte eigentlich jemandem auffallen müssen, ist es aber nicht.
Oxfam verweist an dieser Stelle im Bericht zuerst auf eigene Berechnungen, dann auf den Datensatz der Credit Suisse. Aber dort ist diese Zahl nicht zu finden. Die für Oxfam so entscheidende Aussage ist unbelegt und unplausibel – eine böse Mischung.
Amerikaner sind die Ärmsten – wirklich?
Andere Kritiker haben schon in früheren Jahren darauf hingewiesen, dass Oxfam Nettovermögenszahlen verwendet, also private Schulden abzieht. Das erscheint nur auf den ersten Blick logisch. Denn die meisten überschuldeten Menschen leben in den USA, wo dadurch die Ärmsten der Ärmsten zu finden sind. In China hingegen gibt es diese Kategorie kaum.
In Wirklichkeit sagt Vermögen oft wenig über die wirtschaftlichen Verhältnisse ärmerer Menschen aus als die Nettoeinkommen. Und in diesem Bereich ist die Ungleichheit in der Welt weniger stark ausgeprägt.
Supervermögen auf dem Papier
Viele der Supervermögen bestehen zum Teil nur auf dem Papier. Das gilt für Aktien genauso wie für Immobilienbesitz. Im Einzelfall kann man sie zu Geld machen, aber in der Masse nicht, ohne gravierende Wertverluste in Kauf zu nehmen.
All das spricht nicht gegen effektive Maßnahmen zur Umverteilung, vor allem in Ländern wie den USA und China, wo die Kluft zwischen Arm und Reich tatsächlich wächst. Aber Horrorerzählungen wie die von Oxfam tragen nicht dazu bei, eine solche Politik zu fördern. (Eric Frey, 20.1.2016)